1. Um die dürftige Digitalisierung
Kein Wort, kein einziges. Im ersten der drei Fernseh-Trielle wurde die digitale Umwälzung von Wirtschaft und Gesellschaft tatsächlich mit keiner Silbe erwähnt. Als habe es weder den Lockdown-Offenbarungseid in deutschen Schulen noch mangelndes Impfmonitoring gegeben, weder Funklöcher und Breitbandlücken noch Hightech-Offensiven, die als Milliardenflut starten und als Millionengetröpfel enden. Vom Analogistan, das Teile der deutschen Verwaltung noch immer darstellen, ganz zu schweigen.
Es wäre zu wünschen, dass die Auseinandersetzung darüber in den verbleibenden zwei Wochen tiefer geht, als nur darüber zu streiten, ob dieses Land mit einem Digitalministerium besser dran wäre. Es gibt gute Gründe für oder gegen ein eigenes Ressort – die umfassende Misere allein aber kann es nicht beheben. Man wüsste von Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz gern, was sie zur Förderung dieser Schlüsselkompetenz des Standorts genau planen.
2. Um den Klimaschutz und seine Kosten
Die tastende Vorsicht der drei Kandidaten dürfte ihre triftigen Gründe gehabt haben. Als sie alle zuletzt gefragt wurden, inwiefern der Kampf gegen den Klimawandel Kosten oder Entbehrungen verursache, boten sie wortreiche Beschwichtigungen auf. Wird schon werden, lautete die Botschaft.
Wird schon werden? Die Bundesregierung von Union und SPD hat unter Druck des Verfassungsgerichts gerade erst das Klimaschutzgesetz und dessen Ziele verschärft. Und den Grünen war selbst das nicht scharf genug. Konsequenz zu demonstrieren oder – im Falle der Grünen – noch mehr Konsequenz einzufordern, dann aber so zu tun, also folge aus ihr nichts Wesentliches und Spürbares für Bürgerinnen und Bürger, Unternehmerinnen und Arbeiter – das ist unredlich.
Was passiert denn nun mit den Kohlejobs nach 2030? Wer bricht den Widerstand gegen neue Windräder? Wann kostet Benzin mehr als zwei Euro – und was heißt das? Werden Ölheizungen verboten und Jugendstilfassaden zugedämmt? Was, wenn Industrien ins Ausland flüchten? Es gibt sehr viele, sehr handfeste Fragen, auf die noch es keine ehrlichen Antworten gibt.
3. Um Rente und Babyboomer
Man weiß von Olaf Scholz, dass er die Rente mit 68 ablehnt. Immerhin. Darüber hinaus finden sich in den Wahlprogrammen vage Ideen für mehr aktiengedeckte Altersvorsorge – oder Klassiker wie jene, dass doch bitte Beamte und Selbstständige gefälligst in die Rentenkasse einzahlen sollen. Kann man machen – schafft kurzfristig Einnahmen, aber langfristig noch mehr Rentenberechtigte.
Worüber weder Scholz noch Laschet noch Baerbock reden mögen, sind die Babyboomer. Ab Mitte der Zwanziger gehen hunderttausende Arbeitnehmer in den Ruhestand. Jahr für Jahr. Die kommende Regierung dürfte die letzte sein, die diese immensen Lasten der gesetzlichen Altersvorsorge noch ohne massiven Druck der Zahlen umverteilen könnte.
Kurz gesagt bleiben ihr dazu vier Möglichkeiten: höhere Beiträge, mehr Steuerzuschüsse, geringeres Rentenniveau, späteres Renteneintrittsalter. Oder eine Mischung aus allem plus Hoffnung auf dynamische Kapitalmärkte. Politisch alles keine rosigen Optionen, zugegeben. Aber Politikerinnen und Politiker, die ins Kanzleramt wollen, sollten sagen, wie sie zu ihnen stehen.
4. Um die deutsche Haltung zu China
In diesem Wahlkampf, so spannend er ist und so verbissen er inzwischen geführt wird, wurde bisher leider auch nur im trüben Lichte des Afghanistan-Desasters über außenpolitische Leitlinien diskutiert. Und so sollte es nicht bleiben. Gerade in Bezug auf China. Der Umgang mit der immer mächtiger werdenden Volksrepublik besitzt klärenden Charakter. Wenn er denn besprochen wird.
Das bisherige laute Schweigen – sieht man von ein paar Minuten in einer TV-Debatte Ende Juni ab – ist erstaunlich in einem Land, das seinen Wohlstand dem internationalen Handel verdankt, seinen Autos und Maschinen. Dessen Wohlergehen abhängt von offenen Märkten und offenen Türen. Das von der Kooperation der Kaufleute sehr gut lebt, die Moral gerne hochhält und politische Konfrontationen zumeist meidet.
Und es ist bemerkenswert, weil die Gretchenfrage „Wie hältst du’s mit China?“ von der nächsten Bundesregierung eben ziemlich sicher anders beantwortet wird als in den 16 Jahren zuvor. Der Abschied Angela Merkels, die den chinesischen Aufstieg still bewunderte und das Land gern bereiste, läutet einen Zeitenwechsel ein.
Es wächst längst ein neuer deutscher China-Realismus in der Hauptstadt. Und da ist gleichzeitig eine kommunistische Führung, die den Kapitalismus im eigenen Land an die Kandare nimmt und sich zunehmend vom Ausland abschottet. Nur: In wie weit Baerbock, Laschet und Scholz in letzter Konsequenz Werte über Exportwohlstand zu stellen bereit sind, ist offen. Hoffentlich nicht mehr lange.
5. Um Eignung, Bilanzen und Charakter
Wer die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt führen will, muss sich prüfen lassen. Joschka Fischer hat diese Hochebene einmal die „Todeszone der Politik“ genannt. Es kann, ohne Zweifel, ein unwirtlicher Ort sein, an dem die Luft gefährlich dünn wird und Nerven und Konstitution einen nicht verlassen dürfen.
Allein: Ins Amt des Kanzlerkandidaten wird niemand gezwungen. Und das unerbittliche Licht, das einen dann trifft, wird nicht weniger unerbittlich dadurch, dass man wissen kann, was da kommt. Annalena Baerbock hat ihre Erfahrungen mit der Todeszone schon gemacht, und wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird sie – jedenfalls anno 2021 – diesen Kanzlerinnentest in den Augen der Wählerinnen und Wähler nicht bestehen. Armin Laschet droht ebenfalls zu verglühen, aus bekannten Gründen.
Nun also Olaf Scholz. Wirecard, Warburg/Cum-Ex, Zoll, zuletzt Razzien zum Thema Geldwäschebekämpfung: Es hat neben, unter und um den heutigen Finanzminister herum in den vergangenen Jahren eine Reihe von Affären, Problemen und Skandalen gegeben, die ihn bisher vielleicht touchierten, jedoch nie aus der Bahn warfen. Aber den besten Eindruck hat auch der selbsterklärte Mann von Ordnung, Klarheit und Prinzipienfeste im Zuge der Aufklärungen nicht immer gemacht.
Auch darum wird es in den verbleibenden 14 Tagen gehen. Die Deutschen wählen den Kanzler oder die Kanzlerin. Sie wählen aber immer auch einen Charakter. Jemanden, der sie repräsentieren kann – und dieser Rolle würdig erscheinen muss.
Und wenn man eines über die Frau sagen kann, der alle drei Wettbewerber nachfolgen wollen, dann dieses: Angela Merkel hat diese Prüfung stets bestanden.
Mehr zum Thema: Die Spitzenkandidaten der Parteien wirken müde, zermürbt und dünnhäutig. Sie sehnen das Ende der Trielle, Wahlarenen und Vierkämpfe herbei – und wünschten sich zwei Wochen weiter. So wie wir alle.