Als Markus Söder wenige Tage nach seiner Niederlage gegen Armin Laschet gefragt wurde, ob die Plakate des Kanzlerkandidaten denn auch in Bayern geklebt würden, musste er kurz schlucken. Dann rang sich der bayerische Ministerpräsident rasch zur einzig möglichen Antwort durch. „Natürlich“ werde das Gesicht von Laschet auch in Bayern zu sehen sein, schließlich sei der Aachener ja der „gemeinsame Kanzlerkandidat von CDU und CSU“. Später dann räumte Söder offen ein, dass er, der nie eine wirkliche Niederlage verdauen musste, nach der Entscheidung schon etliche Kilometer mit dem Fahrrad hingelegt hatte, um sich die Emotionen aus dem Bauch zu strampeln.
Offiziell ist die Sache abgehakt, wenn sich die CSU-Landesgruppe im Bundestag jetzt zu ihrer Klausurtagung in das idyllische Kloster Seeon am nördlichen Rand des Chiemsees zurückzieht. Tatsächlich aber muss die CSU, die für den Bundestagswahlkampf voll und ganz auf ihren Vorsitzenden Söder gesetzt hatte, jetzt die taktische Kehrtwende planen.
Mit Laschet werden andere Akzente im Wahlkampf betont. So setzt der am Dreiländereck Deutschland, Holland und Belgien aufgewachsene CDU-Chef deutlich mehr auf Europa als die grundsätzlich Brüssel-skeptische CSU. Laschet war selbst Europa-Abgeordneter und er ist Koordinator für die deutsch-französischen Beziehungen; er will einen betont europafreundlichen Kurs einschlagen. Dazu gehört ein Initiativrecht für das EU-Parlament und auch eine Kontrolle des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM durch die Europa-Abgeordneten – eine Machtverschiebung in einer für die gemeinsame Währung existenziellen Frage. Auch die von Laschet geforderte Aufhebung des Einstimmigkeitsprinzips zugunsten von Mehrheitsentscheidungen sieht mancher in der CSU kritisch – gefürchtet wird eine Mehrheit der Südländer gegen den stabilitätsorientierten Norden.
Laschet fährt gestärkt zur CSU
Anders als noch vor einigen Monaten fährt der CDU-Vorsitzende aber jetzt gestärkt nach Seeon in die Höhle des inzwischen auf Normalmaß geschrumpften bayerischen Löwen. Unter Laschets Führung hat die Union die Trendwende geschafft und sich in den Umfragen den ersten Platz von den Grünen zurückerobert. Das liegt nicht nur an den Fehlern von Annalena Baerbock, sondern auch an der Tatsache, dass die CDU zuletzt in Sachsen-Anhalt einen unerwartet klaren, ja fast schon triumphalen Sieg einfahren konnte. Auch der auf Fehlervermeidung ausgerichtete Wahlkampf scheint sich bei der durch die Pandemie verunsicherten Bevölkerung auszuzahlen. Den Vorwurf, er wolle im Schlafwagen die Wahl gewinnen, lässt Laschet ganz im Stil von Helmut Kohl an sich abtropfen. Am Ende zählen die Wählerstimmen und nicht die Haltungsnoten der Wettbewerber. Das Motto lautet: Beim eigenen Fahrplan bleiben und „Ruhe bewahren“.
Extrawünsche im Bayernplan
Das gilt auch für die absehbaren Streitigkeiten mit der bayrischen Schwesterpartei. Vergeblich hatte die CSU bei der Abfassung des gemeinsamen Wahlprogramms von der CDU verlangt, die sieben Milliarden Euro teure Ausweitung der Mütterrente in das Papier aufzunehmen. Mit Blick auf die angespannten Finanzen und die ohnehin schon teuren Steuerentlastungspläne des Wirtschaftsflügels hatte Laschet aber seine Zustimmung verweigert.
Dass jetzt die nicht erfüllten Wünsche der CSU in einem eigenen „Bayernplan“ wieder auftauchen, sieht die CDU demonstrativ gelassen – man müsse der bayerischen Schwester halt „regionale Eigenheiten“ zugestehen, heißt es im Adenauerhaus. Allerdings gibt es auch Warnungen an die CSU, es mit ihrem Bayernplan – der am 23. Juli verabschiedet wird und dann neben dem gemeinsamen Unionsprogramm stehen soll – nicht zu übertreiben.
Friedrich Merz richtete vor der Klausurtagung in Seeon die Aufforderung an Söder, sich an die bereits getroffenen Verabredungen zu halten. „Ich finde, wir sollten uns jetzt nicht mehr mit nachträglichen Ideen und Wünschen überbieten“, sagte Merz im Interview der WirtschaftsWoche. „Die Verhandlungen mit potenziellen Koalitionspartnern finden jedenfalls auf der Grundlage des gemeinsamen Wahlprogramms statt“, bekräftigte Merz, „das gilt“ – und nicht unabgestimmte Extrawünsche aus München.
Gäste aus der Wirtschaft
An den Gästen der CSU kann man auch die Themen der Klausurtagung ablesen. Einer der Eingeladenen ist BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Dass der mächtige Industrieverband die von der Union stets propagierte „schwarze Null“ plötzlich weniger wichtig findet als kräftige Investitionen, wird sicher zu kritischen Nachfragen führen. Solidität und Stabilität hat CSU-Generalsekretär Markus Blume schließlich als Leitlinie für den Wahlkampf ausgegeben.
Hauptthemen im Gespräch mit Russwurm sollen allerdings der digitale Umbau der Industrie und der Weg zu einer ökonomisch gangbaren Klimaneutralität sein.
Auch die Spanierin Belén Garijo, Vorsitzende der Geschäftsführung des Pharma- und Spezialchemiekonzern Merck, wird bei der CSU in Seeon erwartet. Die studierte Ärztin, die jahrelang in der Pharmaforschung arbeitete, bevor sie an die Spitze von Merck rückte, wird mit den bayerischen Politikern über die störungsanfälligen globalen Lieferketten und die Notwendigkeit einer eigenen, nationalen Pharmaproduktion sprechen. Dabei soll es auch um die Frage gehen, ob Deutschland und Europa bei der Produktion von Impfstoffen für weitere Infektionswellen oder eine Dauerpandemie mit immer neuen Varianten gerüstet sind.
Die entscheidende Botschaft des CSU-Treffens vor Beginn der heißen Wahlkampfphase soll nach dem Willen von Markus Söder und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt jedoch darin bestehen, größtmögliche Einigkeit zu demonstrieren. Die Einladung von Armin Laschet und der gemeinsame Auftritt im Kloster sollen das belegen. Laschet jedenfalls freut sich auf seinen Besuch in Bayern. Von dort ist es nicht mehr weit zum Bodensee, wo der Kanzlerkandidat noch ein paar Tage Urlaub geplant hat.
Mehr zum Thema: „Unglücklich“ werden Laschets widersprüchliche Steueraussagen parteiintern genannt. Die Opposition nutzt sie als Steilvorlage, die Wirtschaft mahnt mehr Verbindlichkeit an.