Mach' et, Mike Mohring! Fünf Lehren aus der Thüringen-Wahl

Nach der Thüringen-Wahl: Mike Mohring (l), CDU-Spitzenkandidat, steht neben Bodo Ramelow (Die Linke). Quelle: dpa

Aus der Landtagswahl in Thüringen lassen sich mehrere Lehren ziehen. Die wichtigste Lektion: Die CDU muss endlich aufhören, die Linke mit der AfD gleichzusetzen – und in Koalitionsverhandlungen mit Bodo Ramelow einsteigen. Ein Kommentar.

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Dieses Ergebnis der Landtagswahl in Thüringen ist ein schwerer Schlag für die Demokratie: Weit mehr als zwanzig Prozent Stimmanteil für einen rechtsextremen Politiker wie Björn Höcke in Thüringen, für einen Mann, der den Holocaust marginalisiert und den Westmächten vorgeworfen hat, die Deutschen „Stumpf und Stiel“ zu vernichten – das ist eine Schande für dieses Land. Und eine böse Niederlage für Angela Merkel (CDU).

Es ist erschütternd, dass sie sich seit vier Jahren wegduckt, den Aufstieg der AfD meint beschweigen zu können, offensichtlich glaubt, die dunklen Wolken des Rechtsrucks in Deutschland, die zögen schon bald wieder vorüber. Erschütternd, wie das Wahlergebnis insgesamt.

Die fünf wichtigsten Lehren aus dem Debakel:

1. Der Aufstieg der AfD hat einen immensen Kollateralnutzen für Amtsinhaber. Ganz gleich, ob in Sachsen, Brandenburg oder Thüringen, ganz gleich ob der Ministerpräsident der CDU, SPD oder der Linken angehört – er profitiert von allen Nicht-AfD-Wählern, die unbedingt verhindern wollen, dass die blaubraune Partei stärkste Kraft wird. Die AfD hat in Thüringen nur deshalb nicht vollends triumphiert, weil die Wähler mit ihrem Kreuz für Amtsinhaber Bodo Ramelow auf Nummer sicher gehen wollten.



Umgekehrt heißt das: Bodo Ramelow ist weiß Gott nicht so beliebt in Thüringen, wie manche Journalisten sich das offenbar wünschen – so wenig wie Michael Kretschmer (CDU) in Sachsen und Dietmar Woidke (SPD) in Brandenburg.

2. Ostdeutschland hat ein großes Problem mit dem Rechtsextremismus. Es hilft nicht, darauf zu verweisen, dass es ihn auch im Westen gibt, natürlich gibt es ihn auch dort. Aber 25 Prozent für einen Spitzenkandidaten des sogenannten „Flügels“ sind in einem westdeutschen Flächenland (derzeit) undenkbar. Es ist höchste Zeit für klare Ansagen in Richtung der Wähler: Euren Protest verstehen wir, Euren Hass niemals. Man muss diesen Wählern klarmachen: Die AfD hasst die Demokratie, die Meinungsfreiheit, den Liberalismus, den Andersdenkenden. Und man muss ihnen den einfachen Böckenförde-Satz verdeutlichen: Die Demokratie lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann. Das heißt: Wenn nicht 24 Prozent, sondern 51 Prozent sich gegen die Demokratie entscheiden, ist sie abgeschafft.

3. Mehr Demokratie wagen. Daran kommt die Berliner Republik jetzt endgültig nicht mehr vorbei. Sachsen und Brandenburg steuern auf unterschiedlich akzentuierte „Kenia-Koalitionen“ zu (Schwarz-Grün-Rot in Sachsen, Rot-Schwarz-Grün in Brandenburg). In Thüringen gibt es nach Lage der Dinge nur drei Optionen. Erstens eine Koalition aus Linke, SPD, Grüne und FDP. Zweitens eine Koalition zwischen Linken und CDU. Drittens eine Minderheitsregierung.

Alle Verantwortlichen werden in den nächsten Tagen noch oft sagen, dass die Konstellation schwierig, ja unmöglich ist. Aber das stimmt nicht. Jeder kann mit jedem, das haben viele Zweier- und Dreier-Bündnisse auf Landesebene, etwa in Hessen und Schleswig-Holstein, bewiesen. Und auch eine Minderheitsregierung auf Landesebene, in der die Linkspartei sachbezogen und projektweise nach Mehrheiten suchen müsste: Wo bitteschön, soll hier ein Problem liegen?

4. Mike Mohring hat es in der Hand. Ausgerechnet der CDU-Spitzenkandidat, ein Konservativer, muss in der Union den Bann gegenüber der Linkspartei aufheben – und zumindest in Koalitionsverhandlungen mit der Linken einsteigen. Warum auch nicht?

Warum sollten sich Linke und CDU nicht auf eine vernünftige Wirtschafts-, Struktur- und Schulpolitik einigen können? Gewiss, die Positionen der Parteien liegen auf Bundesebene weit auseinander. Aber auf Landesebene zählt: Weniger Ideologie wagen!



Im Übrigen ist es an der Zeit für die CDU, sich von einer Lebenslüge zu verabschieden: Es gibt keine Äquidistanz der „Parteien der Mitte“ zu den „linken“ und „rechten“ Rändern. Der entscheidende Unterschied zwischen der Linken und der AfD ist: Jene ist in sehr weiten Teilen eine staatstragende Partei, diese nicht. Jene will integrativ etwas für dieses Land erreichen; diese spielt „das Volk“ gegen es selbst aus. Jene hat sich zwei Jahrzehnte lang als eine Art Kümmer-CSU des Ostens um die Menschen verdient gemacht; diese hetzt sie auf. Scharfe Kritik in der Sache: immer gern, meist leider sehr angebracht. Aber bitte, liebe CDU: Schluss endlich mit der pauschalen Rote-Socken-Diffamierung der Linken.

5. Das Schlusswort ist für die SPD reserviert. Und gleicht einem Nachruf: Nicht mal 54 Prozent der Mitglieder haben sich am ersten Wahlgang zur Bestimmung der künftigen Parteivorsitzenden beteiligt – und man weiß wirklich nicht mehr, was für die Sozialdemokratie beklemmender sein muss: ein Wahlergebnis in Thüringen, das bei rund acht Prozent liegt – oder das Desinteresse der eigenen Mitglieder an ihrer Zukunft.

Die Parteien der großen Koalition bringen in Thüringen nur noch 30 Prozent auf die Waage – vor allem dank der SPD. „Herr, es ist Zeit“, möchte man mit Rilke nach Berlin rufen: Beendet endlich die Große Koalition und ruft die Deutschen zu den Urnen!

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