Olaf Scholz Der Wackel-Kanzler

Steht in großen Entscheidungen bislang häufig alleine da – und muss sich dann doch nach den anderen richten: Bundeskanzler Olaf Scholz. Quelle: REUTERS

Bei den wichtigsten Abstimmungen schrammte Olaf Scholz bislang immer knapp an einer Niederlage vorbei. Unter den Regierungsparteien ist der Ton rau geworden. Hat der Wackel-Kanzler noch Kraft für Wirtschaftsreformen?

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Es ist die bislang wichtigste Entscheidung der Bundesregierung, doch wenn der Bundestag an diesem Donnerstag über die Waffenlieferungen an die Ukraine abstimmt, bleibt der Stuhl des Bundeskanzlers auf der Regierungsbank leer. Olaf Scholz absolviert lieber einen Besuch in Japan, als sich im Parlament zu erklären. Dabei hätte man schon gerne vom Regierungschef selbst gehört, was ihn vom Zauderer zum Handelnden verwandelt hat, warum seine Argumente gegen eine offensive militärische Unterstützung der Regierung in Kiew plötzlich nicht mehr stimmen.

Zwischen Scholz Ablehnung und seiner Kehrtwendung am Montag lagen nur wenige Tage. Gerade seiner Partei, der SPD, fällt es schwer, diesen abrupten Positionswechsel nachzuvollziehen. Besonders der linke Flügel der Sozialdemokraten hadert mit der Vorstellung, dass eine SPD-geführte Regierung auf die Rhetorik der Falken und Konservativen einschwenkt. Dass Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), eingerahmt von US-Militärs, am Dienstag im Luftwaffenstützpunkt Ramstein mit versteinertem Gesicht den Kursschwenk des SPD-Kanzlers erklären und die Lieferung von Gepard-Panzern sowie zwei Milliarden Euro Militärhilfe für Waffenkäufe erklären musste, stößt vielen in der SPD sauer auf.  

Das Zentrum des Widerstands hatte sich bislang um SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich gebildet. Deutschland dürfe unter Führung der SPD nicht zur Kriegspartei werden, lautete das Argument; schon die Rede zur „Zeitenwende“ hatte manche außenpolitischen Gewissheiten unter den Sozialdemokraten erschüttert.

Baerbock muss Scholz erklären

Es war denn schließlich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die bereits am Vortag bei der Fragestunde des Bundestages den Sinneswandel des abwesenden Kanzlers zu erklären versuchte. Danach habe die Koalition schon Anfang April im Austausch mit den Nato-Partnern die Lieferung schwerer Waffen vorbereitet, dies aber wenig öffentlich kommuniziert. Die Idee sei gewesen, so Baerbock, die Lieferungen nicht zu gefährden und auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht zu sehr zu provozieren.

Besonders überzeugend klang das nicht, wie die Opposition monierte. Schließlich war es Baerbock selbst gewesen, die zusammen mit Vizekanzler Robert Habeck und anderen führenden Grünen Scholz immer mehr mit der Forderung unter Druck gesetzt hatten, neben Helmen und Ausrüstung auch schweres militärisches Gerät an die Ukraine zu liefern. Besonders Toni Hofreiter, ein dezidierter Linker unter den Grünen, fiel als Anwalt schneller und bedenkenloser Waffenexporte in Richtung Kiew auf, was nicht nur bei der grünen Basis auf Erstaunen und Befremden stieß.

Teilerfolg für die Union

Für die Opposition bot das offene Zerwürfnis in der Ampelkoalition und die plötzliche Kehrtwendung des Kanzlers die gute Gelegenheit, einen politischen Teilerfolg zu erzielen. Ursprünglich wollten CDU und CSU einen Antrag abstimmen lassen, in dem die wichtigsten Argumente von Grünen und FDP für schwere Waffen gegen die Bedenken der SPD aufgenommen werden sollten. Das Ziel, ähnlich wie bei der Abstimmung über die Impfpflicht, bestand darin, die parlamentarische Mehrheit der Ampelfraktionen zu testen. Bei der von Scholz ursprünglich angekündigten allgemeinen Impfpflicht hatte die FDP die Gefolgschaft verweigert. Um einer Niederlage zu entgehen, wurde die Abstimmung von der Regierung kurzerhand zur Gewissensfrage erklärt und der Fraktionszwang aufgehoben.

Beim aktuellen Streit um die Waffenlieferungen standen sogar beide kleinen Koalitionspartner gegen Scholz und die SPD. Um auch hier eine Niederlage zu vermeiden und dem internationalen Druck nachzugeben, vollzog der Kanzler schließlich eine Kehrtwende und schloss sich der Forderung von FDP und Grünen an. Demnach steht nun im Bundestag ein Koalitionsantrag zur Abstimmung, in dem 41 Empfehlungen und Aufforderungen an die Bundesregierung gerichtet werden, die Ukraine bei der Abwehr des russischen Angriffs zu unterstützen.



Der Antrag wurde in enger Abstimmung mit dem Kanzleramt erarbeitet und enthält nun weitreichende Forderungen zur Lieferung schwerer Waffen und komplexer Systeme im Rahmen eines so genannten „Ringtauschs“. Danach sollen Nato-Partner wie die Slowakei für die Lieferung schwerer Waffen sowjetischer Bauart an die Ukraine Ersatz aus Deutschland erhalten. Das geschieht zum einen, weil die ukrainischen Soldaten eher auf den Umgang mit russischem Militärgerät geschult sind und weniger auf den mit westlichen Waffensystemen. Zum anderen soll so verhindert werden, dass die Nato durch die Weitergabe von Waffen in ihrer militärischen Fähigkeit geschwächt wird.

Union stimmt Koalitionsantrag zu

Weil mit diesem weit reichenden Kursschwenk der Bundesregierung die wichtigsten Forderungen von CDU und CSU erfüllt werden, wird die Union dem Koalitionsantrag heute im Bundestag zustimmen. Oppositionsführer Friedrich Merz hält sich jedoch zugute, die Regierung erst mit der Debatte über die Waffenlieferung unter Druck gesetzt zu haben.

In der Tat hat Kanzler Scholz bislang einige seiner ursprünglichen Entscheidungen im Bundestag nicht durchsetzen können; er musste seine Vorhaben immer wieder verändern und anpassen, um die drei Regierungsfraktionen hinter sich versammeln zu können. Die bislang recht wackeligen Mehrheiten der Ampel werfen allerdings die Frage auf, wie viel Kraft die Koalition für Reformprojekte hat, die ebenfalls umstritten sind und ihrer Umsetzung harren.

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Beispielsweise steht noch die vollständige Abschaffung des Soli aus; ein Vorhaben, das SPD und Grüne unter den veränderten Vorzeichen der „Zeitenwende“ nun äußerst kritisch sehen, das aber die FDP unbedingt durchsetzen möchte. Gleiches gilt für die immer noch nicht in Angriff genommene Reform der gesetzlichen Rentenversicherung oder für die von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) versprochene Rückkehr zur schwarzen Null. Auch die bisherigen Festlegungen in der Energiepolitik stehen infrage, neben dem Abschalten der drei noch laufenden Atomkraftwerke Ende des Jahres auch der Ausstieg aus der Kohle. Man darf gespannt sein.

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