Soziales Netzwerk in der Kritik So gefährlich ist TikTok wirklich

TikTok: Weltweit haben mehr als zwei Milliarden Handy-Nutzer den Videodienst auf ihre Smartphones geladen. Quelle: AP

In Indien ist die chinesische App TikTok schon verboten, die US-Regierung erwägt ähnliche Maßnahmen, ebenso der Konzern Amazon für seine Mitarbeiter. Wie gravierend die Mängel in Bezug auf Datenschutz, Sicherheit und Spionage tatsächlich sind. 

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Die Social-Media-App TikTok bricht alle Rekorde: Nie zuvor hat eine mobile Unterhaltungssoftware in so kurzer Zeit so viele Nutzer gewonnen. Ende April stieg die Zahl der Downloads laut Erhebungen des Datendienstleisters Sensor Tower weltweit über die Zwei-Milliarden-Marke. Allein im Juni kamen weltweit mehr als 87 Millionen zusätzliche Nutzer hinzu. TikTok war vor Zoom, Facebook, WhatsApp und Instagram das weltweit am häufigsten aus den App-Stores geladene Handy-Programm. 

Damit ist die Smartphone-Software nicht nur ein globales Phänomen, sondern zudem das erste soziale Netzwerk weltweiter Bedeutung, das von einem chinesischen Unternehmen stammt. Doch parallel zur rasanten Expansion wächst die Kritik an der Plattform. Die US-Regierung prüft die Sicherheit der Software schon länger, nun droht Präsident Donald Trump gar mit einem Verbot in den USA. Microsoft hat nun am Sonntag erstmals offiziell bestätigt, das US-Geschäft von TikTok kaufen zu wollen Nach eigenen Angaben hat TikTok 100 Millionen Nutzer in den USA.

Indien hat die App bereits verboten und auch in Deutschland wurden in den vergangenen Monaten immer wieder Sicherheitslücken bekannt. Der US-Konzern Amazon veröffentlichte gar eine Aufforderung an seine Mitarbeiter, TikTok nicht auf Firmengeräten zu installieren – und zog sie kurz darauf wieder zurück.

„Wir haben uns dazu verpflichtet, die Privatsphäre und Sicherheit unserer Nutzer*innen zu schützen und denjenigen, die auf unserer Plattform kreative Inhalte schaffen, erfüllende Karrieren zu ermöglichen“, heißt es von TikTok selbst. Schafft die App das? Vier Fragen und Antworten zur umstrittenen Software.

Worum geht es bei TikTok?

Ähnlich wie die Google-Tochter Youtube ist auch TikTok ein Videodienst, der davon lebt, dass seine Nutzer eigene Filme auf der Plattform veröffentlichen. Seit August 2018 ist das Programm unter seinem heutigen Namen bekannt. Damals benannte der Eigentümer, das chinesische Unternehmen Bytedance, die zuvor als musical.ly bekannte und beliebte App in TikTok um. 

Die einzelnen Videoschnipsel sind zumeist deutlich kürzer als bei anderen Videodiensten. Die oft nur um die 15 Sekunden langen Videos zeigen vielfach private Karaoke-Aufnahmen, Tänze, Tiere, Alltägliches oder Ulk-Szenen – teils geprägt von sehr robustem Humor. Ein Filmchen folgt dem nächsten, in einem wild-bunten, schier unendlichen Strom.

Angesichts der Reichweite nutzen neben privaten Anwendern immer häufiger auch Unternehmen und Institutionen die Plattform, um jüngere Zielgruppen zu erreichen. Der Versender Otto und die Bundesligisten FC Bayern und Borussia Dortmund etwa schwimmen bereits mit im TikTok-Strom, ebenso die deutschen Ableger der US-amerikanischen Getränkemarke Punica und des schwedischen Modehändlers H&M. Auch die Tagesschau veröffentlicht über den Dienst regelmäßig kurze Nachrichtenschnipsel und hat dabei mehrere 10.000 Follower.

Die Begeisterung der vorwiegend aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen bestehenden Nutzerschaft für den Dienst ist enorm. Die erste Nutzermilliarde hatte TikTok bereits nach zwei Jahren erreicht; schneller als jeder andere Social-Media-Dienst vorher. Beim weltgrößten Netzwerk Facebook dauerte das acht Jahre, beim Messenger WhatsApp sieben, dem chinesischen Anbieter WeChat waren es immerhin noch sechs.  Nach unterschiedlichen Schätzungen hat die Plattform zwischen 500 und 800 Millionen regelmäßig aktive Anwender. In Deutschland soll die Nutzerzahl bei inzwischen deutlich über neun Millionen Menschen liegen.

Wer steckt hinter der App?

Das Unternehmen hinter TikTok ist die 2012 vom chinesischen Internet-Unternehmer Zhang Yiming gegründete Firma Beijing Bytedance Technology, kurz Bytedance. Sie entwickelt und betreibt mehrere digitale Plattformen, die mithilfe von lernfähiger Software arbeiten. Dazu gehört unter anderem auch die Nachrichten-Webseite Toutiao (zu Deutsch: „Schlagzeilen“). 

Nach der Übernahme des Konkurrenten musical.ly für rund 800 Millionen Dollar im Herbst 2017 betreibt Bytedance den Dienst seit Sommer 2018 weltweit unter dem Namen TikTok, in China heißt er Douyin.

Bytedance ist in Privatbesitz, über die genauen Eigentumsverhältnisse ist wenig bekannt. Einer der größten Einzelinvestoren soll Softbank-Gründer Masayoshi Son sein, der 2018 rund drei Milliarden US-Dollar in das Unternehmen steckte. Weitere Investoren sind unter anderem die großen US-Venture-Capital-Firmen General Atlantic, KKR und Sequoia Capital.

TikTok-Gründer Zhang Yiming studierte an der staatlichen Nankai-Universität in Tjianjin Elektrotechnik und Software-Entwicklung. Nach Stationen bei mehreren IT- und Internetunternehmen, darunter zeitweise auch Microsoft, gründete Zhang 2009 mit der Immobilienplattform 99fang.com sein erstes Online-Unternehmen. Mit den Erlösen aus seinem Ausstieg bei 99fang startete er 2012 Bytedance.

Welche Vorwürfe gibt es gegen TikTok?

Kritik an der Videoplattform gibt es aus verschiedenen Richtungen. Einer der aktuell meistgenannten Vorwürfe ist, dass der Dienst Nutzerdaten möglicherweise in großem Maße in China verarbeite und, dass Informationen über Anwender deshalb dort unter die Kontrolle staatlicher Stellen kommen könnten. 

Damit ähnelt diese Sorge der Kritik, die auch gegen den IT- und Netzausrüster Huawei erhoben wird. TikTok weist jeden Verdacht von sich und betont, als Privatunternehmen vom chinesischen Staat unabhängig zu sein. Kritiker halten eine solche Unabhängigkeit allerdings – speziell vor dem Hintergrund mangelnder Rechtsstaatlichkeit in China – für nicht durchsetzbar.

In den USA wird eine mögliche Spionagegefahr bereits seit vergangenem Jahr im Parlament diskutiert. Laut Medienberichten laufen bereits seit Herbst 2019 Untersuchungen eines Kongressausschusses zur Sicherheit der Nutzerdaten bei TikTok. Ergebnisse der Untersuchungen wurden aber ebenso wenig bekannt, wie konkrete Belege dafür, dass bisher tatsächlich Informationen an die chinesische Regierung geflossen sind.

Ende Mai dieses Jahres wurde bekannt, dass Bytedance in Kalifornien rund 150 Mitarbeiter sucht, um das Geschäft dort auszubauen. Marktbeobachter interpretieren das auch als Versuch, sich internationaler aufzustellen und möglicherweise von chinesischem Einfluss unabhängiger zu machen. Ein weiteres Zeichen für die Internationalisierung sei, dass das Unternehmen den früheren Streaming-Chef des Disney-Konzerns, Kevin Mayer, Ende Juni als TikTok-Chef angeheuert hat.

Ein weiterer Grund für Kritik ist die Frage, ob und wie sehr der Dienst die dort verbreiteten Inhalte möglicherweise im Interesse der chinesischen Regierung zensiert. So dokumentierte unter anderem das Info-Portal netzpolitik.org im November 2019 die Kriterien, anhand derer Moderatoren Inhalte bewerten und aus dem Videostrom filtern. Danach betreibe „TikTok [...] ein ausgeklügeltes System, um Inhalte zu identifizieren, zu kontrollieren, zu unterdrücken und zu lenken.“ Auffällig sei zudem, dass beispielsweise Videos über die Proteste in Hongkong gegen die Ausweitung des chinesischen Einflusses dort, auf dem Portal kaum sichtbar seien.

TikTok erklärte dazu, man moderiere keine Inhalte basierend auf politischen Ausrichtungen oder Sensitivitäten. „Unsere Moderationsentscheidungen sind durch keine fremde Regierung beeinflusst, was die chinesische Regierung einschließt. TikTok entfernt weder Videos rund um die Proteste in Hongkong noch werden Videos rund um die Proteste in Hongkong in ihrer Reichweite unterdrückt.“

Ende Juni verbot die indische Regierung – gemeinsam mit rund 60 weiteren Apps – den Einsatz von TikTok im Land. Die Dienste würden die „Souveränität und Integrität Indiens“ gefährden, hieß es in einer Mitteilung der indischen Regierung. Es sei zu befürchten, dass die Apps die Daten indischer Bürger stehlen und sie unautorisiert auf Server außerhalb Indiens transferieren würden. 

Konkrete Belege für einen Abfluss der Daten nannte allerdings auch die indische Regierung nicht. Beobachter vermuten daher möglicherweise auch einen politischen Hintergrund für den Bann, da die Spannungen zwischen Indien und China zuletzt eskaliert waren. 

Neben der Diskussion um politische Unabhängigkeit beziehungsweise Einflussnahme, gab es in der Vergangenheit zudem Kritik an den Jugendschutzeinstellungen. TikTok lässt Nutzer ab 13 Jahren zu und ermöglichte es anderen Anwendern zunächst, diesen auch Direktnachrichten und digitale „Geschenke“ zu schicken. Laut Berichten der Nachrichtenagentur „Reuters“ hatten daraufhin die US-Handelskommission (FTC) und das US-Justizministerium eine Untersuchung wegen Vorwürfen der Missachtung der Privatsphäre von Kindern eingeleitet. 

Auch die Tatsache, dass TikTok die Privatsphäre seiner neuen Anwender zunächst auf „öffentlich“ voreinstellte, stieß bei Datenschützern auf Kritik. Inzwischen hat die Plattform die Einstellungen angepasst und definiert zumindest die Konten von Kindern und Jugendlichen standardmäßig als „privat“, zudem ist der Austausch direkter Nachrichten mit Minderjährigen ebenso deaktiviert wie der Versand von „Geschenken“.

TikTok: Angst vor Hackern und Geheimdiensten


Wie sicher ist die Plattform gegen Hacker?

Zuletzt sorgte der Internet-Konzern Amazon für Aufmerksamkeit, als interne E-Mails bekannt wurden, in denen das Unternehmen seinen Mitarbeitern unter Bezug auf „Sicherheitsrisiken“ den Einsatz von TikTok auf ihren Smartphones verboten hat. Wenig später ruderte Amazon zurück. Der Versand der Nachricht sei „irrtümlich erfolgt“. 

Auch wenn das stimmen mag, es ist nicht das erste Mal, dass TikTok wegen Sicherheitsmängeln Probleme hat. Unter anderem publizierte der israelische IT-Sicherheitsdienstleister CheckPoint Anfang Januar eine Warnung vor mehreren Schwachstellen sowohl in der App als auch auf der Webseite des chinesischen Videodienstes. 

In der Folge konnten Angreifer anderen TikTok-Anwendern unter anderem Videos unterschieben und in deren Namen hochladen. Außerdem waren die Hacker in der Lage Videos zu löschen oder auch an persönliche Daten zu gelangen, wie etwa an die E-Mail-Adresse oder das Geburtsdatum. Zudem konnten die Angreifer Videos, die von den Nutzern als privat markiert waren, für die Öffentlichkeit freigeben. Speziell bei Inhalten von Kindern und Jugendlichen war das ein eklatanter Verstoß gegen den Schutz der Privatsphäre. 

Neben den Lücken in der App war es Angreifern zeitweilig auch möglich, Schadcode auf die TikTok-Webseite einzuschleusen und darüber Nutzer attackieren, weil beim Aufruf der Seite beispielsweise Spionagesoftware auf PC oder Smartphone geladen worden wäre. 

Die Sicherheitslücken waren so gravierend, dass etwa das vorab über die Schwachstelle informierte US-Verteidigungsministerium bereits im Dezember Soldaten verbot, die App auf dienstlichen Smartphones zu installieren. 

Auch der Europäische Datenschutzausschuss (EDSA) will den Datenschutz von TikTok überprüfen. Anfang Juni kündigte der Verbund der europäischen Datenschutzbehörden an, mögliche Aktionen gegen die App zu koordinieren.

Sorge bereitet Datenschützern auch, dass die TikTok-App in kurzen Abständen den Inhalt des Zwischenspeichers in Smartphones ausliest. Dort legen Nutzer unter anderem private Nachrichten ab, aber auch Links und Passwörter. Im Fall von Google-Handys hatte TikTok diese Praxis im Februar zunächst auf eine veraltete Entwicklungssoftware zurückgeführt, die demnächst ausgetauscht werde, berichtet Netzpolitik.org. Inzwischen wurde bekannt, dass das Phänomen auch auf iPhones auftritt.

TikTok begründete das Vorgehen, das auch eine Reihe anderer Apps nutzen, mit dem Kampf gegen Spam-Nachrichten. Inzwischen habe man aber eine neue Version des Programms beim App-Store eingereicht, die nicht mehr auf den Zwischenspeicher zugreife.

Durchwachsenes Urteil

Ist also TikTok tatsächlich gefährlicher als andere Apps und soziale Netzwerke? Schlampt es übermäßig beim Datenschutz, fließen Daten an chinesische Geheimdienste? 

Die Antwort fällt zwangsläufig unbefriedigend aus:

Nicht nur, weil – zumindest bei den Spionagevorwürfen – die Belege ebenso fehlen, wie etwa bei Huawei. Gleichzeitig ist die Sorge, dass Daten abfließen könnten angesichts der chinesischen Sicherheitsgesetze nicht von der Hand zu weisen. Mehr als ein Verdacht aber ist es bisher nicht, und die Bewertung auch eine Frage der individuellen Skepsis oder des Vertrauens.

Unbestritten aber ist, dass der Dienst – nicht anders als alle anderen kostenfreien sozialen Netzwerke – größtes Interesse daran hat, möglichst viel über seine Nutzer zu erfahren. Nur dann lässt sich das Angebot über personalisierte Werbung bestmöglich refinanzieren. Wirklich gratis, das zeigt TikTok wieder einmal, ist auch im Internet nichts: Im Zweifel zahlt der Nutzer mit der Preisgabe seiner Daten.

Dass Datenschützer und Verbraucherverbände den Videodienst durch ihre Einsprüche gezwungen haben, insbesondere die Sicherheitseinstellungen bei Kindern und Jugendlichen zu verschärfen, war überfällig. Und es spricht nicht für TikTok, dass das überhaupt erforderlich war.

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