




Bauteile wuseln über Bänder von Bearbeitungsstation zu Bearbeitungsstation – anscheinend gelenkt von einer höheren Macht. Doch in Wirklichkeit organisieren die Werkstücke ihre Herstellung zum fertigen Produkt selbst. Dazu führen sie Funkmodule, Minichips und ihren Fertigungsauftrag mit. Bei der Reise über die Bänder sprechen sie untereinander ab, welche Maschine gerade frei ist und ob diese alles Material für den nächsten Produktionsschritt parat hat. Am Ende plumpsen etwa komplette Rücklichter für Autos in die Versandkisten.
Es ist der Testlauf in eine neue Ära der Industrieproduktion – mit Mitteln und Methoden des Internets. Und deutsche Unternehmer und Forscher sind ganz vorn beim Eintritt in diese digitale Fabrikwelt, bei der alles mit jedem vernetzt ist – der größten Umwälzung seit Erfindung des Fließbands vor gut 140 Jahren.
Siemens beispielsweise erprobt die sich selbst optimierende Produktion in seinem Vorzeigewerk im bayrischen Amberg, in dem rund 1000 Beschäftigte elektronische Steuerungen für Getränkeabfüllanlagen, Skilifte oder Müllwagen herstellen. Der baden-württembergische Mittelständler Wittenstein tastet sich bei der Produktion von Zahnrädern an die Prinzipien der Selbstorganisation heran. In Bremen sammeln Ingenieure des Instituts für Produktion und Logistik der dortigen Universität in Deutschlands derzeit wohl modernster Modellfabrik neue Erkenntnisse zu dem Thema.
Wahre Wunder
Vordenker wie der frühere SAP-Chef Henning Kagermann, heute Präsident der Technikakademien in Deutschland (Acatech), erwarten von der digitalen Fabrik wahre Wunderdinge. Seine Prognose: In ihr sollen selbst Einzelstücke eines Tages nicht mehr kosten als heutige Massenware – dank Produktivitätssprüngen von 50 Prozent und ebenso großen Material- und Energieeinsparungen.
Damit ist klar: Das Land, das als erstes erfolgreich Internet-Technologien in die Produktion integriert, hat allerbeste Wachstumsperspektiven. Deutschland befindet sich – so die frohe Botschaft – bei der Perfektionierung des Internets der Dinge, wie Fachleute die Vernetzung aller Gegenstände und Geräte miteinander nennen, in einer aussichtsreichen Startposition.
Das größte Potential
Zu diesem Ergebnis kommen jedenfalls die Experten der global tätigen Unternehmensberatung McKinsey. Exklusiv für die WirtschaftsWoche haben sie analysiert, bei welchen Technologien wir stark sein müssen, um auch im nächsten Jahrzehnt vielen Millionen Menschen Arbeit bieten und unseren Wohlstand mehren zu können. Und da hat das Internet der Dinge, das etwa auch die intelligente Steuerung von Logistikketten und Verkehrsströmen umfasst, das größte Potenzial.
Gelänge es der deutschen Wirtschaft, auf diesem Gebiet Standards zu setzen und umsatzstarke Geschäftsmodelle zu entwickeln, dann könnte das unser Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2025 um gleich 207 Milliarden Euro oder umgerechnet fast fünf Prozent nach oben treiben. Das sind noch einmal gut 20 Milliarden Euro mehr, als die chemisch-pharmazeutische Industrie heute jährlich hierzulande umsetzt.
Parallel entstünden viele neue Jobs. Davon ist Andreas Tschiesner überzeugt, Direktor und führender Kopf bei McKinsey Deutschland für die Bewertung fortschrittlicher Technologien. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch: Misslingt der Umstieg, geht im Extremfall ebenso viel Wirtschaftsleistung verloren – mit allen negativen Folgen für die Beschäftigung.
Das Spiel um die Neuverteilung der Welt hat begonnen. Jetzt entscheidet sich, ob wir auch in den nächsten Jahrzehnten eine führende Wirtschaftsnation bleiben.
„Würde Deutschland bei der Vernetzung aller Dinge versagen, wäre unsere gute Wettbewerbsposition massiv erschüttert“, warnt Tschiesner. Die Gefahr hält er aber für gering. „Alle maßgeblichen Akteure haben die Wichtigkeit des Wandels erkannt und kämpfen um eine Führungsrolle.“
Technologien waren zu allen Zeiten Treiber gesellschaftlichen und ökonomischen Fortschritts. Doch nur wenige haben die Sprengkraft, Spielregeln komplett über den Haufen zu werfen und die Machtverhältnisse auf den Märkten zu erschüttern. Ökonomen bezeichnen sie als disruptiv. Auf sie haben sich die Berater konzentriert. Und auch Reporter und Redakteure der WirtschaftsWoche sind ausgeschwärmt, um der Nation den Puls zu fühlen.