Bei seinem heutigen Berlin-Besuch könnte Lufthansa-Chef Carsten Spohr eigentlich zum Feiern zumute sein. Nach gut einem Jahr Vorbereitung und drei Wochen harter Verhandlungen hat der 50-Jährige heute in der Air-Berlin-Hauptverwaltung am Rand eines Schrebergartenviertels in Flughafennähe endlich den Kaufvertrag für weite Teile der ehemals zweitgrößten deutschen Fluglinie unterschrieben. Für voraussichtlich rund 210 Millionen Euro Kaufpreis wird die Lufthansa-Gruppe zum uneingeschränkten Marktführer in Deutschland. Eurowings wird mit der Übernahme des Ferienfliegers Niki und des Regionalfliegers LGW mit bis zu 81 neuen Flugzeugen und reichlich neuen Verbindungen zur Nummer drei im europäischen Markt für Billig- und Urlaubsflüge.
Doch es folgt wohl kein Umtrunk mit klingenden Gläsern und Champagner. „Zum Jubeln ist mir nicht zumute“, sagt Spohr. Offiziell liegt das für ihn daran, dass mehr als 1000 und im schlimmsten Fall sogar bis zu 3000 Air Berliner ihren Job verlieren. Doch tatsächlich geht es um mehr. „Wer glaubt, der Weg bisher war hart, hat nicht verstanden: Der harte Teil geht jetzt erst los“, sagte Spohr im kleinen Kreis.
Denn egal wohin Spohr und sein für Eurowings zuständiger Lufthansa-Vorstand Thorsten Dierks bei der Eingliederung auch blicken: Ihnen droht überall Stress und meist sogar reichlich Ärger.
1. Interner Stress um Geld und gute Ziele
Das beginnt bei der Eingliederung des Personals. Zwar hat sich Lufthansa mit allen wichtigen Gewerkschaften auf neue Tarifverträge für eine schnelle Übernahme von bis zu 3000 Ex-Air-Berlinern geeinigt. Doch der Konsens betrifft vor allem den Bereich Gehalt und Arbeitsbedingungen. „Das löst zwar wichtige, aber keineswegs alle Fragen“, warnt ein hochrangiger Gewerkschafter.
Als Erstes dürfte es Stress beim Eingliedern der Neulinge geben – da stehen Spohr und sein Billig-Primus Dierks vor einem Dilemma. Für die Übernahme mussten sie der Bundesregierung versprechen, Jobs zu deutschen Bedingungen zu schaffen. Dazu sagte Spohr in internen Veranstaltungen zu, die Neulinge fair einzugliedern.
Wie die Kartellprüfung in Brüssel läuft
Als Obergrenze für die alleinige nationale Zuständigkeit gilt ein Umsatz aller Beteiligten zusammen von fünf Milliarden Euro. Diese Summe überschreitet allein die Lufthansa mit knapp 32 Milliarden Euro Gesamtumsatz (2016) klar.
Zuständig auf EU-Ebene ist Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Das deutsche Kartellamt wird das Brüsseler Verfahren begleiten, wie Präsident Andreas Mundt erklärte.
Gerade im innerdeutschen Flugverkehr dürfte die Ermittlung des Marktanteils schwer fallen. Dort gibt es schließlich noch konkurrierenden Bahn- und Busverkehr. Die Prüfung muss wohl nach einzelnen Strecken getrennt ablaufen.
Die EU-Kommission prüft auf Grundlage der europäischen Fusionskontrollverordnung. Die Stoßrichtung ist: keine marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens - mit Blick auf die europäische Dimension. Nach der offiziellen Anmeldung von Übernahmeplänen hat die Kommission erst einmal 25 Arbeitstage Zeit, das Geschäft abzuklopfen. Haben die Experten wettbewerbsrechtliche Bedenken, können sie vertieft prüfen. Dann wären noch einmal 90 Arbeitstage Zeit. Bis zum Abschluss liegt das Geschäft auf Eis.
In früheren Luftverkehrsverfahren hat die Kommission mehrfach Auflagen gemacht. So mussten Käufer Start- und Landerechte auf einzelnen Strecken an Wettbewerber abgeben. Die geplante Übernahme der irischen Aer Lingus durch den großen Konkurrenten Ryanair untersagte die EU, weil das neue Unternehmen auf einer Vielzahl von Strecken marktbeherrschend geworden wäre.
Das heißt im Klartext: Er berücksichtigt ihre im Vergleich zur restlichen Eurowings-Belegschaft deutlich längere Berufserfahrung in Form höherer Gehälter und der internen Hierarchie. Denn wie alle Fluglinien bekommen auch bei Eurowings erfahrenere Mitarbeiter nicht nur mehr Geld. Sie haben auch ein paar Privilegien. Dazu zählen Vorrang bei der Beförderung vom Co-Piloten zum Piloten oder von der Flugbegleiterin zur Kabinenchefin, sowie bei der Wahl auf welchen Routen sie fliegen dürfen. Dabei sind Strecken in Urlaubsregionen und besonders solche mit Übernachtung beliebter als Routen in kältere Ziele oder mit vielen trinkfreudigen oder anderweitig anstrengenden Gästen.
„Stehen sich hier die neuen Kollegen besser als die alten und muss ein Kollege nun länger auf Beförderung warten, führt das zu Stress, selbst wenn die Bevorzugung nur gefühlt ist“, so der Gewerkschafter.
Air Berlin: Das Ringen um die Flughafen-Slots
Die Start- und Landerechte an deutschen Flughäfen, im Branchenjargon "Slots" genannt, sind das, was die insolvente Fluggesellschaft Air Berlin für ihre Konkurrenten so begehrt macht. Vor allem in Berlin und Düsseldorf verfügt sie über viele attraktive dieser "Zeitnischen" für Flugzeug-Starts und Landungen, wie sie im Amtsdeutsch offiziell heißen. Doch die Slots lassen sich nicht ohne Weiteres an eine andere Airline wie die Lufthansa weiterreichen.
Geregelt ist die Vergabe der Start- und Landerechte in einer EU-Verordnung. Sie können eigentlich weder gekauft noch verkauft werden - einzige Ausnahme: der Londoner Flughafen Heathrow. In Deutschland werden die Slots für die 16 internationalen Airports von Frankfurt bis Erfurt von Flughafenkoordinator Armin Obert für jedes Jahr neu zugewiesen. Er sitzt mit seinem Team am Frankfurter Flughafen und untersteht nur dem Bundesverkehrsministerium.
Quelle: dpa
Um ihre Slots zu behalten, müssen Fluggesellschaften sie in einer Saison (Sommer und Winter) mindestens zu 80 Prozent genutzt haben. Bei einer Einstellung des Flugbetriebs droht Air Berlin die Rechte also zu verlieren. Werden sie neu verteilt, gehen 50 Prozent an Airlines, die vom jeweiligen Flughafen bereits abfliegen, der Rest an Neubewerber. Das wäre vorteilhaft für Rivalen wie Easyjet und Ryanair, die dann damit rechnen könnten, dass ihnen Slots zufielen, ohne dass sie Personal von Air Berlin übernehmen müssten.
Von einem Unternehmen auf ein anderes können Slots nur dann übertragen werden, wenn sie damit entweder innerhalb eines Konzerns bleiben (also etwa von Lufthansa auf Eurowings), wenn eine Fluggesellschaft mehrheitlich übernommen wird oder "bei vollständigen oder teilweisen Übernahmen, wenn die übertragenen Zeitnischen direkt mit dem übernommenen Luftfahrtunternehmen verbunden sind", wie es in der Verordnung heißt.
Das könnte bei Air Berlin zum Streitpunkt werden. Denn insolvente Unternehmen werden normalerweise nicht als Ganzes erworben ("share deal"), weil der Käufer dann auch die Schulden übernehmen müsste. Der Käufer erwirbt vielmehr die Bestandteile einzeln ("asset deal") und packt sie in eine neu gegründete, schuldenfreie Gesellschaft. Ob das übernommene Paket ausreicht, um die Slots zu behalten, entscheidet der Flughafenkoordinator. Bei der österreichischen Tochter Niki besteht das Problem nicht. Sie ist nicht insolvent und kann damit als Ganzes verkauft werden.
Air Berlin und die beteiligten Insolvenzexperten gehen davon aus, dass sich die Slots wirksam übertragen lassen. Vor allem mit dem Erlös daraus soll der 150-Millionen-Euro-Kredit getilgt werden, den die Bundesregierung gewährt hat, um Air Berlin in der Luft zu halten. Sie standen zuletzt mit 80 Millionen Euro in der Bilanz von Air Berlin.
Wie genau die Lufthansa das Problem lösen will, ist noch nicht ganz klar. „Da stehen uns noch ein paar anstrengende interne Arbeiten bevor. Denn einen so großen Zulauf in so kurzer Zeit hatte noch nie eine Airline“ so ein Lufthanseat.
Dazu ist die Übernahme intern nicht unumstritten. „Es gibt eine Art Spaltung quasi durch die Mitte der Konzernzentrale, ob nicht organisches Wachstum besser und günstiger ist als eine Übernahme von Air Berlin mit all dem Ärger“, so ein Konzernmanager. „Und gerade die Übernahmeskeptiker werben nach wie vor nach Kräften für ihr Modell.“
2. Schreckgespenst 613a
Selbst wenn Lufthansa hier einen Ausgleich schafft, könnte der schnell ins Wanken geraten. Grund sind mögliche Kündigungsschutzklagen von Hunderten Beschäftigten, insbesondere von Piloten. Vor allem Mitarbeiter, die nicht bei Eurowings landen, könnten versuchen sich bei der Lufthansa einzuklagen – und das zu ihren Air-Berlin-Gehältern. Ein mögliches Einfallstor ist der Paragraf 613a im Bürgerlichen Gesetzbuch zum Thema Betriebsübergang.