Der Start 2015 wird diffus. Der schwächelnde Euro, dazu der tiefe Ölpreis und niedrige Zinsen, für Unternehmen wirkt das wie ein gigantisches Konjunkturprogramm – Paradies ante Portas. Gleichzeitig aber locken die USA mit niedrigen Strom-, Öl- und Gaspreisen, ist die Energiewende hierzulande offen, bringen Konflikte deutsche Unternehmen um Absatzmärkte, erst Iran und Irak, dann Russland – politische Hilfe: Fehlanzeige.
Umso wichtiger wird da, wohin der Produktionsstandort Deutschland, unabhängig von solchen Einflüssen, tendiert. Die Antwort stimmt optimistisch. Denn im Maschinenraum der deutschen Wirtschaft, im verarbeitenden Gewerbe, tut sich etwas.
Stufen der industriellen Entwicklung
Die erste industrielle Revolution datiert man auf das Ende des 18. Jahrhunderts. Gekennzeichnet war sie durch die Einführung mechanischer Produktionsanlagen, die durch Wasser- und Dampfkraft angetrieben wurden. In dieser Zeit wurde auch der erste mechanische Webstuhl entwickelt.
Quelle: Deutsche Bank Research Industrie 4.0 - Upgrade des Industriestandorts Deutschland steht bevor, Stand: Februar 2014
Die Erfindung erster Fließbänder in Schlachthöfen in den USA ist Symptom der zweiten industriellen Revolution. Die Verfügbarkeit elektrischer Energie für Produktionszwecke bedingte ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Einführung arbeitsteiliger Massenproduktion.
In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts automatisierte sich die Produktion weiter. Von diesem Zeitraum an wurde nicht mehr nur Arbeitsteilung betrieben, sondern ganze Arbeitsschritte wurden von Maschinen übernommen. Die Grundlage für diese Entwicklung war der Einsatz von Elektronik und IT.
Die Industrie 4.0 soll die vierte industrielle Revolution werden. In der "intelligenten Fabrik" sollen Menschen, Maschinen und Ressourcen miteinander kommunizieren. Das jeweilige Produkt soll, gefüttert mit Informationen über sich selbst, seinen eigenen Fertigungsprozess optimieren können.
So dürfte die Digitalisierung der Fertigung, kurz: Industrie 4.0, in den kommenden zehn Jahren die Kosten in wichtigen Branchen deutlich reduzieren. Das sichert vorhandene und schafft rund 390.000 neue Jobs, prognostiziert die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) in einer unveröffentlichten Studie.
„Die Schätzung ist eher konservativ“, sagt BCG-Partner Michael Rüssmann. Wie viele neue Jobs es durch mehr Umsatz gebe, weil Produkte individueller auf Konsumenten zugeschnitten oder vielseitiger werden könnten, werde tendenziell unterschätzt.
Zum anderen haben viele Unternehmen gerade erst begonnen, die Produktion zu modularisieren, das heißt: die Komponenten gleichzuschalten und Varianten auf wenige Grundtypen zurückzuführen. Damit lasse sich der Output pro Mitarbeiter um 15 bis 20 Prozent erhöhen, das Investitionsvolumen um bis zu einem Drittel reduzieren und die Durchlaufzeit in der Fabrik halbieren. Zu diesem Ergebnis kommt der Münchner Betriebswirtschaftsprofessor Horst Wildemann nach der Auswertung von 18 Firmenprojekten.
Für Betriebe, die alle organisatorischen Rationalisierungsmaßnahmen durchgezogen hätten, sei dies nun „der größte Hebel, um den Industriestandort Deutschland zu sichern“.
Wie groß die Aufbruchstimmung ist, zeigt eine Reise von der Waterkant bis zum Alpenrand.
Marc O'Polo, Stephanskirchen: Perfektionist
Werner Böck bleibt sich treu. Der Eigentümer des Modelabels Marc O’Polo im oberbayrischen Stephanskirchen macht noch immer in Bekleidung – wie einst im elterlichen Herrenausstattungsgeschäft in Rosenheim oder in seiner Lehrzeit während der Swinging Sixties beim Modedesigner John Stephen in Londons Carnaby Street.
Und weil Böck, inzwischen Aufsichtsratschef von Marc O’Polo, an seinem Metier hängt, verpasst er seinem Unternehmen eine tief greifende Modernisierung. Böck („Ich bin ein ziemlicher Perfektionist“) lässt das Geschäft gerade wie kaum ein anderer in der Branche auf Effizienz trimmen. Herauskommen soll die totale Digitalisierung von der Herstellung bis zum Verkauf mithilfe von RFID.
Das Kürzel steht für Radio Frequenz Identifikation und beschreibt die Erkennung von Artikeln durch winzige Chips, die an Waren angebracht werden und ihre Informationen nach Bestrahlung durch elektromagnetische Wellen preisgeben. „Wir verbessern die Effizienz unserer Prozesse“, sagt Jana Hildenbrand, bei Marc O’Polo für die Unterstützung des Vertriebs zuständig. „Damit hat das Verkaufspersonal mehr Zeit für die Beratung, unsere Kunden sind zufriedener, und das Unternehmen kann mit höherem Umsatz rechnen.“
Was auf den ersten Blick spröde klingt, katapultiert das Unternehmen mit rund 1900 Beschäftigten in Wirklichkeit in ein neues Zeitalter. Denn mit RFID legt die Zentrale in Stephanskirchen praktisch alle Marc-O’Polo-Klamotten digital an die Kette, egal, ob Blusen, Blazer oder Schuhe.
Haben die Designer von Marc O’Polo ein Bekleidungsstück entworfen, die Näher ein Muster erstellt und die Einkäufer den Auftrag zur Produktion erteilt, werden Etiketten gedruckt, die später im Laden an den Klamotten hängen. Diese sind nicht nur beschriftet. Sie enthalten zugleich RFID-Chips und diese wiederum eine eigene Nummer für jeden einzelnen Artikel. Die Pappschildchen mit digitalem Inhalt gehen dann nach Portugal, Italien, Indien, Vietnam oder in die Türkei, je nachdem wo die Kleidungsstücke für das Modelabel produziert werden.
Von dem Moment an, in dem ein Mitarbeiter der Nähfabrik das Etikett an der fertigen Ware anbringt, haben die Oberbayern die volle Kontrolle über jedes Stück. Ob beim Wareneingang im Auslieferungslager, beim Sortieren der Teile für den einzelnen Laden oder unmittelbar vor dem Versand der Pakete an den Store – RFID-Chips liefern jeweils die Information, ob die Sendung wirklich mit dem übereinstimmt, was auf dem Lieferschein steht.
Früher blieb den Marc-O’Polo-Mitarbeitern im Wareneingang nur, Stichproben zu ziehen und dazu mühselig Kartons zu öffnen. „Den Rest haben wir geglaubt“, sagt Managerin Hildenbrand. Heute erkennt ein Lesegerät durch den geschlossenen Karton hindurch in Bruchteilen von Sekunden die Zahl der Teile.
Mindestens so groß ist der Erkenntnis- und Zeitgewinn in den Marc-O’Polo-eigenen Läden. Schafft ein Mitarbeiter etwa Ware vom Lager- in den Verkaufsraum, muss er nicht mehr jedes Etikett einscannen und im IT-System umbuchen. Am Schluss der Kette muss an der Kasse kein Produkt mehr von Hand gescannt oder entsichert werden. Stattdessen liest eine Antenne unter dem Kassentresen die Informationen aus dem Chip aus.
Unterm Strich erhofft sich Marc O’Polo allein durch die jüngste technologische Aufrüstung rund drei Prozent mehr Umsatz, etwa dreimal so viel wie die Wachstumsrate der deutschen Bekleidungs- und Textilienbranche 2013.
Excellence, Düsseldorf: Reservistin
Es gibt Begriffe, die einfach nach schlechten Nachrichten klingen: Ebola, für das es noch immer keinen Impfstoff gibt. Die FDP, die in der Bedeutungslosigkeit verharrt. Oder Werkvertrag, das diskreditierte Instrument zur Flexibilisierung der deutschen Wirtschaft.
Falsch konstruierte Vereinbarungen mit Subunternehmern ließen Top-Konzerne wie Daimler und Bertelsmann vor Arbeitsrichtern scheitern und zwangen die Handelsketten Netto und Kaufland zur Zahlung von Millionenbußgeldern wegen Sozialversicherungsbetrugs.
Dass die Bundesregierung „rechtswidrige Vertragskonstruktionen bei Werkverträgen zulasten von Arbeitnehmern“ stoppen will, kommt gut an bei vielen Wählern, beunruhigt aber die Unternehmen: Nachdem Leiharbeit durch Mindestlohn und Branchenzuschläge teurer geworden ist, fürchten sie nun um die Möglichkeit, Arbeiten an Subunternehmer zu vergeben.
Ausgerechnet in dem politisch verminten Gelände findet Vera Calasan einen lukrativen Markt. Die 45-Jährige will – auf Basis rechtlich einwandfreier Werkverträge – mit ihrem Unternehmen Excellence „die Flexibilitätsreserve der Industrie 4.0“ werden. Die ehemalige Deutschland-Chefin des US-Zeitarbeitskonzerns Manpower Group hat das Unternehmen zusammen mit Partnern gegründet und stellt permanent hochkarätige Ingenieure ein.
Ende 2015, zwei Jahre nach der Gründung in Düsseldorf, soll Excellence gut 300 Mitarbeiter haben. 90 Prozent davon sind Akademiker. Das Besondere des neuen Reserve-Corps für Konzerne: Viele seiner Mitglieder beherrschen disziplin- und branchenübergreifend Mechanik und Elektronik und wirken mit an der Entwicklung vernetzter High-Tech-Produkte, teilweise im firmeneigenen Konstruktionsbüro in Köln.
Es sind Ingenieure mit 75.000 Euro Durchschnittsgehalt, deren Spezialwissen die Konzerne „nur für Projekte benötigen“, sagt Calasan. Diese wollten sich aber nicht wie Freelancer in der IT-Branche „selbst vermarkten“. Für die gebürtige Montenegrinerin, die als Kleinkind mit den Eltern nach Deutschland kam, gibt es keinen Fachkräftemangel: Es fehle nur „die richtige Expertise zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort“.
Einer ihrer Ingenieure, ein Hamburger, arbeitet gerade beim Motorradhersteller KTM nahe Salzburg. Andere entwickeln im Auftrag eines Chemiekonzerns die erste Autoheckklappe aus Kunststoff oder tüfteln an Elektronik bei einem Anlagenbauer.
Die Konkurrenz ist mächtig. Der schwäbische Ingenieurdienstleister Bertrandt hat 11 500, der Amsterdamer Wettbewerber Brunel 3000 Mitarbeiter im deutschsprachigen Raum. Aber Bertrandt ist vor allem Automobilentwickler, und Brunel ist Verleiher von Ingenieurteams in alle Branchen. Calasan hingegen vertraut auf „branchenübergreifenden Know-how-Transfer“. Der mache Projektarbeit immer wichtiger.
Mit rechtlich einwandfreien Vertragskonstruktionen – meist als Werkvertrag, seltener als Arbeitnehmerüberlassung – müssen Excellence und Co. den Auftraggebern dabei die Sorge nehmen, vor dem Kadi zu landen. Calasan: „Die Kunden beschreiben nur die zu erbringende Leistung. Mit welcher Vertragsform diese am besten zu realisieren ist, das Problem lösen wir.“
Nach dem Gesetz sind die Unterschiede klar. Beim Werkvertrag erbringt der Auftragnehmer – ob Maler oder Ingenieur – die vereinbarte Leistung auf eigenes Risiko und selbstständig, also ohne dass ihm der Auftraggeber Anweisungen erteilt. Bei Arbeitnehmerüberlassung hingegen stellt der Auftragnehmer Arbeitskräfte zur Verfügung. Die weist der Auftraggeber an wie seine eigenen Stammkräfte.
Klingt einfach, in der Praxis aber wimmelt es von Grenzfällen, die juristisches Know-how erfordern. Die Sündenfälle namhafter Konzerne zeigen es.
Kathrein, Rosenheim: Frühstarter
Die vier internationalen Organisationen haben vier Dinge gemeinsam. Ihre Abkürzungen – AISG, NGMM, 3GGP und ETSI – sind für nicht Eingeweihte die schieren Abtörner. Worüber ihre Mitglieder beratschlagen, grenzt an Labsal für Nerds. Gleichwohl arbeiten die Gremien an einem Projekt, das den Alltag von Milliarden Menschen ein weiteres Mal radikal verändern wird. Und schließlich gibt es nur ein einziges deutsches Unternehmen, das offiziell oder inoffiziell bei allen vieren mitmischt: die Firma Kathrein aus dem oberbayrischen Rosenheim.
„Wir sind immer am Ball, wir versuchen, die Entwicklung mit zu beeinflussen, und natürlich arbeiten wir schon in die absehbare Richtung“, sagt Maximilian Göttl, Chef der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Kathrein-Mobilfunksparte. „Auf diese Weise sichern und schaffen wir High-Tech-Arbeitsplätze in Bayern.“
Dem Familienunternehmen rund 45 S-Bahn-Minuten östlich von München, führenden globalen Player bei Rundfunk-, Fernsehen- und Mobilfunkantennen, ist es gelungen, sich mit an die Spitze derer zu setzen, die den künftigen Mobilfunkstandard 5G (für fünfte Generation) entwickeln. „Von uns sind in den Gremien bis zu zehn Ingenieure involviert“, sagt Kathrein-Manager Göttl, der in Rosenheim über 150 Entwickler gebietet, die nichts anderes tun, als an besseren und effizienteren Mobilfunkantennen zu tüfteln.
Zu den Communitys, in denen Göttls Ingenieure früh von den künftigen Trends im Mobilfunk erfahren, gehört die Creme der Ausrüster, Telefongesellschaften und Experten. In der AISG (Antenna Interface Standard Group) etwa beratschlagen Kathrein-Leute mit Vertretern von Netzwerkausrüstungsgiganten wie Huawei (China), Ericsson (Schweden) und Nokia (Finnland) über das künftige Zusammenspiel von Komponenten in Mobilfunknetzen. Im European Telecommunication Standards Institute (ETSI) mit 750 Mitgliedern aus 63 Ländern wiederum erfahren sie rechtzeitig, welche gesetzlichen Regeln und Sicherheitsstandards für die Technik der kommenden Generation gelten könnten.
Was der Mobilfunkverkehr in fünf bis zehn Jahren leisten soll, ist noch völlig offen. Für Kathrein-Manager Göttl stehen allerdings zwei Punkte fest: Erstens dürfte der explodierende Videokonsum einen gigantischen Leistungssprung in den Mobilfunknetzen erfordern. So sei damit zu rechnen, dass Smartphone-Besitzer künftig statt 30 bis 40 Millisekunden nur 10 oder vielleicht sogar nur eine Millisekunde benötigen sollen, um auf Daten zuzugreifen; zudem würden künftig viel mehr Daten pro Sekunde übertragen werden als heute, möglicherweise ein oder fünf Gigabit pro Sekunde.
Zweitens erfordert ein solcher Zuwachs an Leistung riesige Investitionen in die Übertragungsnetze. Von denen will Kathrein als Weltmarktführer bei Mobilfunkantennen maximal profitieren, indem sich das Unternehmen einen Vorsprung vor der Konkurrenz verschafft. Zwar gebe es noch überhaupt keine Festlegung auf technische Anforderungen, sagt Kathrein-Manager Göttl. „Aber natürlich fangen wir schon heute mit der Grundlagenentwicklung an.“ Wer 2020 den kommerziellen Erfolg wolle, müsse schon jetzt mit der Arbeit an Antennen für Mobilfunknetze beginnen, die im Extremfall 1000-mal so schnell sind.
Zahlen und Fakten zum Mobilfunk-Markt
Smartphones wurden im vergangenen Jahr weltweit verkauft. Bei den genauen Zahlen gehen die großen IT-Marktforscher etwas auseinander: IDC kam auf etwa 1,001 Milliarden Computer-Handys und Gartner auf knapp 968 Millionen. Die Differenz geht vor allem auf unterschiedliche Schätzungen zum Absatz von Geräten mit dem Google-Betriebssystem Android zurück.
beträgt der Anteil der Smartphones in Deutschland, schätzt der Branchenverband Bitkom. Am Umsatz mit Handy-Verkäufen dürften die Smartphones in Deutschland sogar 97 Prozent ausmachen.
betrug der laut Marktforschern der Anteil der Software Android weltweit. Damit ist die Google-Software ist mit Abstand das meistverkaufte Smartphone-System.
Smartphones hat Samsung laut Gartner im vergangenen Jahr verkauft. Damit setzt der südkoreanische Konzern weltweit die meisten Computer-Handys ab. Samsung hält einen Marktanteil von 31 Prozent.
Smartphones verkaufte hingegen Apple, die Nummer zwei im Geschäft. Damit kommt der kalifornische Konzern auf einen Marktanteil von gut 15 Prozent. Da die iPhones aber deutlich teurer sind als die durchschnittlichen Telefone der Konkurrenz, bringen sie höhere Gewinne. Experten schätzen, dass ein Löwenanteil der Hersteller-Profite bei Apple landet.
Marktanteil hält Microsofts Windows Phone neben der Dominanz von Android und Apples iOS. Smartphone-Pionier Blackberry rutschte auf nur noch 0,6 Prozent ab, wie IDC ermittelte.
Die Basis für einen erfolgeichen Frühstart legen Göttls Ingenieure in den internationalen Gremien. Das Third Generation Partnership Project (3GPP) etwa, das über Standards im Mobilfunk entscheidet, konnten die Bayern von ihrem mathematischen Modell überzeugen, das die Sende- und Empfangscharakteristik von Mobilfunkantennen beschreibt. Doch darum geht es dem 52-Jährigen, der seit 29 Jahren für Kathrein arbeitet, nicht allein. Denn der gelernte Ingenieur mit Latinum und Graecum versteht sich eben nicht als Nerd, sondern als einer, der über die Hochfrequenztechnik hinaus auch an die 3000 Jobs von Kathrein in Bayern denkt.
Deshalb hofft Göttl, durch die frühe Mitarbeit seiner Leute an den Standards des Mobilfunknetzes nach 2020 den Erfolg zu wiederholen, der im Kathrein-Werk Nördlingen gelang. Dort, an der Grenze zu Baden-Württemberg, stellen rund 1000 Mitarbeiter ausschließlich Mobilfunkantennen von Kathrein her, die höchstens vor zwei Jahren zur Marktreife gelangten.
„Von 0 auf 1000“, sagt Göttl, „das ist eine schöne Story.“
V. Fraas, Helmbrechts: Eroberer
Es klingt wie Science-Fiction: Federleichte Textilien sollen bröckelnde Altbauten vor dem Zerfall retten. Ein paar Lagen Stoff ersetzen den Stahl im Beton, und schon erhält das Gemäuer eine neue enorme Festigkeit.
So stellt sich Roy Thyroff das vor. Der 44-Jährige ist Geschäftsführer der V. Fraas Solutions in Textile GmbH, eines Tochterunternehmens der Firma V. Fraas im oberfränkischen Helmbrechts. Das Familienunternehmen mit rund 600 Mitarbeitern und 61 Millionen Euro Jahresumsatz stellt eigentlich Schals und sonstige textile Accessoires her. Das Geschäft läuft gut, die Frage ist nur, wie lange noch.
Deshalb hat Manager Thyroff den Auftrag erhalten, ein weiteres Standbein aufzubauen. Seit Kurzem besitzt die neue Tochter eine Zulassung für sogenannten Textilbeton im Deckenbereich. Dabei werden zwei Zentimeter dünne Geflechte aus Carbongarn (Kohlefaser) auf einer Fläche fixiert und mit Spritzbeton ummantelt. Dadurch wird zum Beispiel eine Decke kaum schwerer, zudem sind Risse künftig passé. „Damit können wir Gebäude statisch wieder verstärken“, sagt Thyroff.
Viele Jahre lang galt die Textilindustrie als aussterbende Branche in Deutschland, doch das ändert sich gerade. Dafür stehen vor allem Hersteller technischer Textilien wie V. Fraas. Die Oberfranken haben sich zum Ziel gesetzt, die Baubranche zu erobern und dadurch in Deutschland neue Textiljobs zu schaffen. Die Bundesregierung fördert Textilbeton-Projekte im Rahmen von Forschungsarbeiten an der TU Dresden mit 45 Millionen Euro. Bis zu 3000 Jobs sollen dadurch in den nächsten zehn Jahren entstehen.
V. Fraas und eine Reihe anderer Unternehmen sehen ihre Chance in den Schwächen von Stahlbeton. Nach 40 bis 80 Jahren rostet der Stahl und der Beton bröckelt. V. Fraas-Manager Thyroff will dazu beitragen, 20 Prozent des Stahlbetons durch Textilbeton zu ersetzen. Die hauchdünnen Carbonfasern, die zu gitterartigen Geflechten verbunden und durch chemische Beschichtung stabilisiert werden, rosten nicht. „Korrosion ist aber das A und O, warum ein Bauteil kaputt geht“, sagt Thyroff. „Wo keine Korrosion ist, gibt es auch keinen Bauschaden.“
Angetrieben werden Textilmanager wie Thyroff letztlich aber von der Existenzangst. In Oberfranken etwa stellte die Textilindustrie einst 30 Prozent der Arbeitsplätze. Heute sind es nur etwas mehr als fünf Prozent. Fast fünf Millionen Euro hat der neue Ableger von V. Fraas bisher in die Entwicklung gesteckt. Nun steht er mit Textilbeton vor dem Durchbruch. Mit Stahlbeton wurden 2013 in Deutschland rund 8,2 Milliarden Euro umgesetzt. Davon möchte V. Fraas 20 Prozent – also gut 1,6 Milliarden Euro – in seine Bücher umleiten.
Zwar sind Carbonfasern 20-mal teurer als Stahl, aber Textilbeton benötigt auch 85 Prozent weniger Zement. Durch die längere Haltbarkeit des Werkstoffs könnte die Rechnung aufgehen. „In zehn Jahren wird Textilbeton Standard des modernen Bauens sein“, sagt Ingeborg Neumann, Präsidentin des Verbands der deutschen Textil- und Modeindustrie.
Von den 105.000 Brücken des Bundes und der Kommunen ist etwa die Hälfte reparaturbedürftig, jede siebte muss ersetzt werden. „Die Zeit spielt uns in die Hände“, sagt Thyroff.
Stadt Oldenburg: Entrepreneure
Auch auf den zweiten Blick bleibt es ein Kohl, ein baumhoher Monstergrünkohl. Das Wintergemüse steht mitten auf dem Oldenburger Schlossplatz – als Mahnmal für scheinbar Neues, das nicht neu ist, und für Alternativen, die keine sind.
Die Fotomontage ist Teil der Ausstellung „Wolkenkuckucksburg“, in der Studenten der Uni Oldenburg sich die Frage stellen: Wie hätte sich die Wirtschaft der Stadt entwickelt, wenn es die Uni nicht gäbe? Außer Kohl, dem Traditionsgericht der Gegend, wäre wohl nichts herausgekommen, höchstens vielleicht Grünkohl-Shampoo oder Grünkohl-Riegel.
Spott beiseite: Seitdem in Oldenburg in den Siebzigerjahren die Universität entstand, sieht sich die Stadt nicht mehr als Grünkohl-, sondern als „Übermorgenstadt“, so der gemeinsame Slogan von Hochschule und Stadtverwaltung. Demnach hat sich mit der Uni ein neuer Futurismus breit gemacht, der über Kultur und Kneipen hinausgeht: der Geist der Innovation.
Dieser entfaltet seine größte Wirkung im Oldenburger Technologie- und Gründerzentrum. Vor zehn Jahren geschaffen, ist die städtische Einrichtung heute die größte ihrer Art in Niedersachsen. Die 190 Gründer haben knapp 600 neue Arbeitsplätze geschaffen. Mehrmals wurde das Zentrum von der internationalen „Science Alliance“ als eines der besten Gründerzentren der Welt geehrt.
Der Erfolg strahlt auf die ganze Stadt ab. Obwohl im Schatten von Bremen und jenseits der großen Pendler- und Warenströme, wächst Oldenburg kontinuierlich. Im vergangenen Jahr hat die 160 000-Einwohner-Stadt Osnabrück als drittgrößte Stadt Niedersachsens überholt. Der Uni gebührt überregionaler Ruhm, nachdem das Bundesministerium für Bildung und Forschung sie unlängst zur „Gründerhochschule“ kürte. Einmal im Jahr verleiht die Hochschule einen eigenen Gründerpreis.
Wie wenig die Entrepreneure noch mit Kohl zu schaffen haben, zeigt Ulrich Focken. Der Informatiker wird bald aus dem Gründerzentrum der Stadt ausziehen. „Wir werden im nächsten Jahr ein eigenes Gebäude bauen“, sagt er. Der 44-Jährige hat 2004 mit einem Kommilitonen das Unternehmen energy&meteo gegründet. Mit zwei Computern und einem Server hatten die beiden begonnen, Windprognosen für einzelne Windkraftwerke zu berechnen. Inzwischen beschäftigt energy&meteo 60 Mitarbeiter und ist damit zu groß für das Start-up-Zentrum.
Warum Gründer im Nebenerwerb starten
Um eine Basis für Selbstständigkeit im Vollerwerb zu schaffen.
Quelle: KfW, Inmit/Uni Trier
Um Geschäftsideen erproben zu können.
Um durch Sozialversicherungen geschützt zu sein.
Um das finanzielle Risiko zu verringern.
Um eine Erwerbsalternative zu haben.
Um finanziell abgesichert zu sein.
Um Fähigkeiten zu nutzen.
„Früher stammten viele Gründer aus der Szene der erneuerbaren Energien“, sagt Jürgen Bath, Geschäftsführer des Technologie- und Gründerzentrums. „Momentan boomt der Bereich Informatik.“ Auch das dürfte nur ein Zwischenschritt bleiben. Denn mit ihrem neuen Schwerpunkt „Hearing4all“ ist die Uni in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Zentren der Hörforschung bundesweit geworden. 2012 startete der erste Studiengang für Medizintechnik in Deutschland.
Stadt und Uni schauen jetzt dabei zu, wie sich die ersten Medizintechnikunternehmen bei ihnen ansiedeln – wenn auch nicht nur auf Grünkohlfeldern.
BASF/Bayer, Ludwigshafen/Dormagen: Verbündete
Haben die Pessimisten recht, die der deutschen Chemieindustrie – wegen der niedrigen Energiepreise in den USA – einen Exodus voraussagen?
Nein. Bayer und BASF strafen die Schwarzmaler Lügen. Die beiden Chemieriesen investieren gerade insgesamt mehr als eine Milliarde Euro, um die Produktion in Deutschland zu stärken. Jeder der beiden Konzerne hat 2014 nicht jenseits des Atlantiks, sondern hier eine Anlage zur Herstellung von Toluylen-Diisocyanat, kurz: TDI, hochgezogen. Die hochgiftige Substanz dient als Vorprodukt für Schaumstoff, der in Matratzen, Polstermöbeln oder Autositzen enthalten ist. Und die Nachfrage nach TDI nimmt weltweit zu.
Das ist gut für die Mitarbeiter an den neuen Anlagen. BASF schafft durch sie am Konzernsitz Ludwigshafen 200 zusätzliche Jobs. Vorstandschef Kurt Bock gab beim Bau des rund eine Milliarde Euro teuren Monstrums der heimatlichen Pfalz den Vorzug gegenüber Antwerpen in Belgien.
Bayer-Lenker Marijn Dekkers investierte 250 Millionen Euro nicht an den Standorten Antwerpen oder Tarragona (Spanien), sondern im nordrhein-westfälischen Dormagen. Damit bringt die TDI-Produktion 20 Mitarbeiter in Lohn und Brot und hält 80 weitere Arbeitsplätze am Rhein. Zur Einweihung kam sogar Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und lobte: „Dieser Industriestandort hat Zukunft.“
Die Geschichte von BASF
Friedrich Engelhorn gründet die Badische Anilin- & Soda-Fabrik, Kapital: 1400 Aktien zu je 1000 Gulden. 1886 notiert die Aktie in Frankfurt bei 2380,25.
BASF fusioniert mit Hoechst, Bayer und anderen zur Interessengemeinschaft Farbenindustrie AG (IG Farben).
Wegen der Kriegsverbrechen der Nazis wird IG Farben zwangsverwaltet, die Aktie gibt es nur schwarz für 200 DM.
IG Farben kommt zu 122 DM an die Börse , fällt auf 97. Die BASF-Aktie entsteht neu, als die IG Farben entflochten wird, und schließt Ende 1953 bei 125 DM.
BASF notiert, bereinigt und umgerechnet, sodass sie mit dem heutigen Kurs vergleichbar ist, bei 3,90 Euro. Bis Ende 1999 steigt der Kurs auf 26 Euro.
Im Krisenjahr fällt die BASF-Aktie von 50 auf unter 20 Euro. Im Juni 2014 notiert sie ihr Allzeithoch bei 87 Euro.
Diese verdanken die beiden Chemiehochburgen ihrem spezifischen Standortvorteil: dem Verbund großer unterschiedlicher Anlagen, die sich gegenseitig ergänzen und deren Erzeugnisse direkt weiterverarbeitet werden können. Die neue TDI-Anlage der BASF ist mit Reaktoren verbunden, die etwa Salpetersäure, Chlor oder Synthesegas herstellen. Bayer kommt nirgendwo so gut an die Rohstoffe für TDI wie in Dormagen, wo die nötigen Substanzen gleich um die Ecke produziert werden.
Die Vorteile haben auch andere Hersteller erkannt und sich in der Nähe angesiedelt. So schickt Bayer die Salzsäure, die bei der TDI-Produktion anfällt, als wässrige Lösung zum finnischen Hersteller Kemira, der daraus Aluminiumsalze zur Wasseraufbereitung in Klaränlagen herstellt.
Commerzbank, Frankfurt: Revoluzzer
Zwei Welten prallen aufeinander: hier die großen Banken, die unter Niedrigzins und Regulierung ächzen und den Niedergang fürchten. Dort die kleinen und wendigen Start-ups, die beschwingt vom digitalen Wandel die Schwäche der Geld-Goliaths nutzen, um neue Finanzideen auf den Markt zu bringen. „FinTech“ heißt die Waffe, mit der die Revoluzzer das Establishment das Fürchten lehren.
Die Commerzbank, zweitgrößtes Kreditinstitut im Lande, schwer beschäftigt mit der Generalüberholung ihres Geschäftsmodells, will diese Welten nun verbinden und die Bedrohung durch die Digitalisierung in eine Perspektive für sich und den Bankenstandort Deutschland verwandeln – eine Art Revolution von oben.
Damit ist die Großbank Vorreiterin in der Branche. Sie hat eine Tochterfirma namens main incubator gegründet, die junge FinTech-Firmen mit Startkapital versorgen soll und – was noch wichtiger ist – ihnen Zugang zu Millionen Privat- und Geschäftskunden verschafft. Der Einzug im main incubator soll den Start-ups zudem helfen, die bürokratischen Anforderungen durch die wachsende Regulierung des Finanzsektors zu bewältigen.
Mit ihrem Firmenbrutkasten nimmt die Commerzbank ganz bewusst Gefahren für ihre herkömmlichen Geschäftsbereiche in Kauf: „Eines der Ziele des Inkubators ist es, sich gerade an disruptiven Ideen zu beteiligen, die das klassische Bankgeschäft angreifen und zu Margenverlusten führen“, sagt Christian Hoppe, Gründer und Geschäftsführer des Brutkastens.
Jungfirmen sollten sich daher keine Sorgen machen, so Hoppes Botschaft, dass die Konzernmutter ihre innovativen Ideen abwürgt, sobald sie dem angestammten Geschäft gefährlich werden. Da hat Hoppe Rückendeckung von der Zentrale. „Mit dem Inkubator haben wir einen sehr wichtigen Schritt zur Steigerung unserer Innovationskraft getan“, sagt Commerzbank-Bereichsvorstand Holger Werner, der im Aufsichtsrat der Start-up-Schmiede sitzt. Zum Portfolio des main incubators gehören der Bezahldienst Traxpay, eine Art PayPal für Unternehmen, und der digitale Rechnungsmanager gini.
Bosch Rexroth, Homburg: Vorreiter
Auf seine alten Tage kommt SB23EHS noch einmal groß heraus. Eigentlich ist das Teil mit der siebenstelligen Nummer der Rohling für ein ganz gewöhnliches Hydraulikventil, wie es Traktoren benötigen, um ein angeschlossenes landwirtschaftliches Gerät vom Führerhaus aus zu bedienen.
Doch in der neuen Fertigungslinie von Bosch Rexroth in Homburg/Saar hat SB23EHS eine besondere Bedeutung. Es ist Ende November, als der dunkelgraue Gusseisenblock, aus dem am Ende ein Traktorventil wird, eine Art Stimme erhält. Dazu verpasst ein Arbeiter dem mehrere Kilo schweren Werkstück einen Chip, der aus dem toten ein „sprechendes“ Metallstück macht.
Wo immer das Teil, eingeklemmt in einem Transportschlitten, fortan hinfährt, weitere Schrauben bekommt oder auf Dichtheit geprüft wird – überall wird es von elektromagnetischen Wellen bestrahlt, die dem Chip die Werkstücknummer entlocken und diese automatisch der Stelle melden, an der es weiterbearbeitet wird.
Mit Linien solchen Typs schlägt die Bosch-Tochter (Umsatz 2013: 5,7 Mrd. Euro, 36.700 Beschäftigte) ein neues Kapitel auf – für sich selbst, die Konzernmutter in Stuttgart, aber auch den Produktionsstandort Deutschland. Denn seit Juli produziert das Unternehmen im Dreischichtbetrieb nach Methoden, über die bisher vielfach nur diskutiert wird – Industrie 4.0. Wo Werkstücke mit den Werkzeugen kommunizieren, lassen sich Rüstzeiten verringern und lässt sich Stillstand minimieren.
Die Industriesparte des größten Automobilzulieferers der Welt steht vor einem „weiteren Produktivitätssprung“, sagt Rexroth-Produktionsexperte Möller, „10 bis 15 Prozent innerhalb der nächsten fünf Jahre sind realistisch“. Nun wird möglich, dass deutsche Firmen „Wertschöpfung nicht mehr kurzsichtig in andere Länder verlagern müssen“, sondern „Wertschöpfung zurück ins eigene Land holen können“, sagt Thomas Bauernhansl, Chef des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart.
Nach der Übernahme der Lenksysteme vom Getriebehersteller ZF im baden-württembergischen Friedrichshafen und der anderen Hälfte des Gemeinschaftsunternehmens Bosch Siemens Hausgeräte kommt Bosch Rexroth eine Vorreiterrolle für die rund 260 produzierenden Werke im Mutterkonzern zu.
Was das für die Mitarbeiter bedeutet, lässt sich an der u-förmigen Fertigungslinie in Homburg studieren. Bildschirme liefern Arbeitsanweisungen in der erforderlichen Sprache. Sensoren lassen rote Lämpchen aufleuchten, wenn ein Arbeiter in das Fach mit den falschen Metallfedern greift.
Bosch-Rexroth-Manager Möller ist sicher, dass die Anlage in Homburg erst der Anfang der Vernetzung ist. „Wir werden es noch erleben“, sagt er, „ dass das Ventil dem Landwirt per E-Mail mitteilt, dass es höchste Zeit für einen Ölwechsel ist.“
Concept Laser, Lichtenfels: Visionär
Seine Zukünftige fand Frank Herzog nicht beim Candle-Light-Dinner, sondern bei technischen Versuchen im Laserfeuer. Schon als Student fachsimpelte er am liebsten mit einer bestimmten Kommilitonin über die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Laser, um mit ihnen aus Metallpulver Werkstücke zu bauen.
Irgendwann funkte es so gewaltig, dass Frank und Kerstin Herzog nicht nur ein Paar wurden. Beide sind auch auf bestem Weg, eine neue Ära in der Metallverarbeitung einzuläuten. Mit ihrer Forschungs- und Entwicklungsarbeit und ihrer Firma Concept Laser in Lichtenfels bei Bamberg ist es dem Duo gelungen, Deutschland beim 3D-Druck von Metallwerkstücken an die Spitze zu katapultieren. Concept Laser gehört zur Hofmann Innovation Group, einer Tochter des Spritzguss- und Formenbaubetriebs der Familie von Kerstin Herzog.
Beim 3-D-Druck dieser Art schmilzt ein Laser aus pulverförmigem Metall Schicht für Schicht feste Körper. Das Verfahren hat den Vorzug, Drehen, Fräsen und Bohren in vielen Fällen überflüssig zu machen. Es gilt als eine Zukunftstechnologie, die nach Meinung des US-Starökonomen Jeremy Rifkin eine neue industrielle Revolution einleitet und die globalen Wertschöpfungsketten neu knüpfen wird. Zudem ist der 3D-Druck eine wichtige Komponente von Industrie 4.0, der digitalisierten Fertigung. Mit einem 3-D-Drucker und den passenden Daten lassen sich etwa Ersatzteile an jedem beliebigen Ort der Welt produzieren. Produktions- und Logistikketten werden überflüssig.
Die Unternehmensberatung Roland Berger sagt dem metallischen 3D-Druck mit Lasern beste Chancen voraus. 2012 lag das weltweite Marktvolumen des 3D-Drucks für metallische Strukturen noch bei 1,7 Milliarden Euro. Binnen zehn Jahren soll es sich vervierfachen. Am meisten profitieren dürften neben Concept Laser weitere deutsche Firmen wie SLM Solutions in Lübeck und EOS in Krailling bei München.
Die Einsatzmöglichkeiten erscheinen grenzenlos. Die Franken fertigen Brenner für Raketen der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa, aber auch individuelle Implantate für Schädeldecken und Wirbelsäulen. Luftfahrtunternehmen, Maschinenbauer und die Automobilindustrie erforschen, wie sich die Produktion komplexer Metallteile mit 3D-Druckern schneller und kostengünstiger gestalten lässt.
Für den Autobauer Daimler hat Concept Laser gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Lasertechnik in Aachen den weltweit größten 3D-Drucker geschaffen. Der ist so groß, dass er Prototypen von Getriebeteilen aus Aluminium formen kann. Das ist preiswerter als das übliche Druckgussverfahren. „Die Serienfertigung von Bauteilen für die Automobilindustrie ist greifbar nahe“, sagt Visionär Herzog.
Dessen Firma Concept Laser wächst jetzt schon beachtlich. Im ersten Halbjahr hat das Unternehmen 45 Maschinen im Wert von 130.000 bis 1,5 Millionen Euro verkauft – ein Plus von 45 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.
Das dichte Forschungsnetzwerk, der hoch entwickelte Maschinenbau und die Ingenieur- und Tüftlerkultur tragen dazu bei, dass der metallische 3D-Druck in Deutschland zur Spitzentechnologie heranreift. „Den Wissensvorsprung der etablierten Unternehmen holen Neueinsteiger am Markt sicherlich nicht so schnell auf“, glaubt Herzog. Allerdings beobachtet er auch, dass „die amerikanischen Unternehmen die Technologie schneller anwenden. In Europa ist man zögerlicher. Etwas mehr Mut würde nicht schaden.“