Debatte um Schuldenbremse und Wirtschaftskrise „Gibt nichts zu beschönigen: die wirtschaftliche Lage ist mies“

Wie wollen sie das lösen? Finanzminister Christian Lindner (r.) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (l.) haben völlig unterschiedliche Ansätze für mehr Wirtschaftswachstum. Kanzler Olaf Scholz kann bisher offensichtlich nicht vermitteln.  Quelle: Mauritius Images

Der Standort Deutschland leidet, die Wirtschaft schlägt Alarm. Top-Ökonom Jens Südekum warnt: Das Land stehe „vor riesigen wirtschafts- und finanzpolitischen Herausforderungen“. In der Ampel könne es zum Showdown kommen.

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WirtschaftsWoche: Herr Professor Südekum, die Chefs der Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände haben sich mit Kanzler Olaf Scholz zum Spitzengespräch auf der Internationalen Handwerksmesse in München getroffen, um über Wege aus der Wirtschaftskrise zu sprechen. Wie desaströs ist die Lage?
Jens Südekum: Da gibt es nichts zu beschönigen: die wirtschaftliche Lage ist mies. Zwar gibt es Hoffnung auf leichte Erholung, da die Inflation spürbar zurück geht, die Lohnabschlüsse gut sind und der Konsum wieder steigen dürfte. Auch in China könnte sich der Ausblick verbessern. Wir stecken also nicht in einem Sumpf, aus dem wir nie wieder rauskommen. Aber klar ist auch, Deutschland steht vor riesigen wirtschafts- und finanzpolitischen Herausforderungen und muss deutlich mehr tun, denn eine Wachstumsprognose von nur noch 0,2 Prozent ist nicht akzeptabel für die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt.

Robert Habeck fordert einen „Reformbooster“, Christian Lindner will ein „Dynamisierungspaket“ – doch die Ideen zur Rettung könnten unterschiedlicher nicht sein: Der grüne Wirtschaftsminister setzt auf ein schuldenfinanziertes Sondervermögen, der FDP-Finanzminister will die Schuldenbremse einhalten und dafür etwa den Solidaritätsbeitrag abschaffen und bei den Sozialausgaben kürzen. Wie fatal ist es, dass der Kurs der beiden Minister so konträr ist?
Das ist aus meiner Sicht der größte Schaden. In dieser Bundesregierung gibt es bisher nicht einmal ansatzweise eine gemeinsame Idee darüber, welcher wirtschaftspolitische Kurs nun eingeschlagen werden soll. Die Vorstellungen der Grünen und der FDP gehen diametral auseinander.

Der Ökonom Jens Südekum ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Quelle: imago images

Zur Person

Allerdings unternimmt doch auch die SPD bisher herzlich wenig, um einen Kompromiss zu finden, oder?
Die SPD ist inhaltlich näher bei den Grünen. Aber der Kanzler muss Rücksicht auf die FDP nehmen und führt deswegen nicht, obwohl es dringend notwendig wäre. Denn Unternehmen und Investoren sind verunsichert, sie legen im Endeffekt ihr Geld lieber dort an, wo mehr Klarheit herrscht – und das ist in Deutschland derzeit nicht der Fall.

Was wäre dann also Ihr Vorschlag, um mehr Klarheit zu schaffen?
Ich fange mal positiv an. In einer Sache sind sich die beiden Minister Habeck und Lindner völlig einig: wir brauchen steuerliche Entlastungen für Unternehmen. Da kann ich ihnen nur zustimmen, denn mit einem nominalen Körperschaftssteuersatz von 29,9 Prozent ist Deutschland spitze im Vergleich zu anderen westlichen Industrieländern.

Auch das ist ein Grund, weshalb immer mehr Unternehmen wie Miele Arbeitsplätze in Deutschland abbauen und in Länder mit deutlich besseren Bedingungen wechseln, etwa nach Polen, Ungarn oder in die USA?
Ja, deutsche Unternehmen investieren zwar – aber sie tun es nicht in erster Linie hier am Standort. Mit 132 Milliarden Dollar sind 2023 aus Deutschland so viele Investitionen abgeflossen wie noch nie zuvor. Deutschland hat also ein dramatisches Investitionsproblem. Deshalb brauchen wir auch kein klassisches Konjunkturprogramm gegen die Wirtschaftskrise, sondern ein Investitionsprogramm. Ganz konkret: Bessere Abschreibungsbedingungen und Prämien für Unternehmen, die investieren. Das ist zielgenauer als eine nominale Steuersatzsenkung.

Genau das sollte das Wachstumschancengesetz bringen, das die Union jedoch über den Bundesrat blockiert und das inzwischen erheblich abgespeckt ist: statt ursprünglich sieben Milliarden Euro würde es nur noch Entlastungen von drei Milliarden Euro bringen. Reicht das?
Nein, sicher nicht, das Paket sollte skaliert werden: von drei Milliarden Euro auf 30 Milliarden Euro.



Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zwingt die Regierung zur strikten Haushaltsdisziplin. Woher sollen denn bitte die 30 Milliarden Euro kommen?
Die Investitionen könnten mit Krediten finanziert werden, im Rahmen eines neuen Sondervermögens, das allerdings in der Verfassung abgesichert werden müsste.

Sie fordern also ein Sondervermögen gegen die Wirtschaftskrise?
Ja – denn wir brauchen auch eine wirtschaftspolitische Zeitenwende. Investitionen können über das Sondervermögen über Jahre hinweg transparent, nachvollziehbar und rechtssicher gestalten werden, private Investoren hätten auch über einen Regierungswechsel hinaus die Verlässlichkeit. Das ist ein Vorschlag, den ich gemeinsam mit meinen Kollegen, IW-Chef Michael Hüther und Ifo-Chef Clemens Fuest, gemacht habe und den Robert Habeck nun aufgegriffen hat. Für eine solche Verfassungsänderung wäre allerdings eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig, ohne die Union geht es also nicht.

Aber Ihre Idee scheitert schon am Widerstand von Christian Lindner, der die Schuldenbremse einhalten will – und höhere Schulden und Zinsbelastungen alles andere als nachhaltig findet. Er fordert eine höhere Ausgabendisziplin und Priorisierung. Und genau das gehört doch zu den Kernaufgabe der Politik?
Christian Lindner hat sich bei dem Thema Schuldenbremse intellektuell eingemauert. Und seine Argumente werden nicht besser, auch, wenn er sie immer wieder gebetsmühlenartig vorträgt.

Wie bitte?
Ja, der Staat muss heute 36 Milliarden Euro Zinsen zahlen. Aber in Bezug auf das gesamte Volumen des Bundeshaushalts ist das nicht viel. Deutschland hat kein Schuldenproblem, nicht mal ansatzweise. Und Lindners Strategie des Priorisierens wird nicht funktionieren. Dafür reicht doch schon ein nüchterner Blick auf die Zahlen: für den Haushalt 2025 fehlen allein im regulären Etat schon 20 Milliarden Euro, die Lücke im Klima- und Transformationsfonds dürfte sich auf eine ähnliche Größe belaufen, hinzu kommen weitere Ausgabenerfordernisse mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine und dann noch die Mittel für die Steuerentlastung. Einen solchen Fehlbetrag kann man nicht durch Kürzungen irgendwo einsammeln. Das ist illusorisch.

Stetig steigende Sozialausgaben, Subventionen in Rekordhöhe – das alles wollen Sie unangetastet lassen?
Reformen im Sozialstaat sind sicherlich notwendig. Aber ich bitte um Realismus. Bei einer Kürzung des Bürgergelds könnten maximal zwei Milliarden Euro rausgeholt werden, denn das Bundesverfassungsgericht macht strikte Vorgaben für die Sicherung des Existenzminimums. Und wie schwierig Subventionskürzungen durchzusetzen sind, zeigt ja die Entscheidung zum Agrardiesel. Da geht es um 302 Millionen Euro – und sofort waren die Bauern auf der Straße. Mehr zu holen wäre in der Rente. Aber das ist politisch sehr unpopulär und braucht Zeit. Wir müssen aber sofort handeln und da führt an Kreditfinanzierung kein Weg vorbei.

Aber immer neue Schulden können darauf doch nicht die Antwort auf strukturelle Probleme sein?
Wir erleben doch gerade, wie international die Zukunftsfelder vermessen und verteilt werden: grüner Wasserstoff, KI, Solarzellenproduktion, E-Mobilität – wenn hier all das zunehmend wegbricht, brechen auch Arbeitsplätze und Wertschöpfung weg. Dadurch werden künftige Generationen geschädigt. Wir müssen endlich aufhören mit diesen Grundsatzdebatten über Schulden, wo der Rest der Welt längst viel weiter ist. Stattdessen sollten wir darüber diskutieren, mit welchen Instrumenten wir sicherstellen, dass mit den Schulden ausschließlich Zukunftsausgaben bezahlt werden, kein zusätzlicher Staatskonsum.

Aber Herr Südekum, jetzt müssen Sie doch einmal realistisch sein: Gehen Sie ernsthaft davon aus, dass Christian Lindner doch gegenüber Robert Habeck einknickt und einem Sondervermögen beziehungsweise einer Reform der Schuldenbremse zustimmt?
Ich erwarte, dass es in der Ampel-Koalition zum Showdown kommt – denn bei allem guten Willen sehe ich nicht, wie die Bundesregierung den Haushalt 2025 zusammenkriegen will.

Showdown? Sie erwarten, dass die Koalition über die Haushaltsaufstellung in den kommenden Monaten zerbricht?
Ich will hier keinen Bruch herbeireden, aber der Streit dürfte noch weitaus heftiger werden als für den Haushalt 2024, wo die Finanzierungslücke mit 17 Milliarden Euro deutlich kleiner war. Schon dafür haben die Koalitionsspitzen 200 Stunden zusammengehockt und herausgekommen ist eine kleinteilige Lösung, die viele Einmaleffekte genutzt und Rücklagen aufgebraucht hat. Das geht nicht nochmal.

Das heißt?
SPD und Grüne werden den weitreichenden Kürzungen im Sozialbereich, wie Lindner sie fordert, in einem Superwahljahr erst recht nicht zustimmen. Zugleich gibt es immer mehr Ökonominnen und Ökonomen, die eine Reform der Schuldenbremse fordern. Solchen Diskussionen kann sich die FDP nicht dauerhaft verweigern. Wir können doch nicht das ganze Land in Geiselhaft nehmen lassen für die Ideologie einer 4-Prozent-Partei.

Moment, auch die Union, die in den Umfragen auf rund 30 Prozent kommt, will die Schuldenbremse einhalten – oder glauben Sie, dass Friedrich Merz sie am Ende doch antasten wird?
Die Union ist da viel pragmatischer. Es ist doch nicht mehr um die Frage, ob die Schuldenbremse reformiert wird – sondern nur noch wann. Derzeit bewegt sich Merz noch nicht, er will die Ampel gegen die Wand fahren lassen. Aber Merz – oder wer auch immer von der Union im Kanzleramt sitzt – würde doch als eine der ersten Amtshandlungen eine Reform der Schuldenbremse auf den Weg bringen. Zumal weder die SPD noch die Grünen eine Koalition mit der Union eingehen würden, wenn es keine Einigung auf eine Reform der Schuldenbremse gibt.

Erstmal müsste sich Merz allerdings mit seinen eigenen Ministerpräsidenten über eine gemeinsame Linie zur Schuldenbremse einigen, oder?
Ja, der Druck auf Merz wird durch die CDU-Ministerpräsidenten immer größer, nach Berlin Regierendem Bürgermeister Kai Wegner fordert jetzt auch Hessens Ministerpräsident Boris Rhein eine Reform der Schuldenbremse. Wenn jetzt auch noch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst miteinstimmt, wäre das ein echter Gamechange.

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Das ist nicht überraschend. Denn Wüst ist ja auch klar: wenn er offensiv eine Reform der Schuldenbremse fordert, kommt er an der Konfrontation mit Merz und der K-Frage nicht mehr vorbei.

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