Ort und Zeit waren perfekt gewählt. Das palastartige Luxushotel in den Hügeln über dem portugiesischen Städtchen Sintra gewährte der internationalen Geldelite die gewünschte Abgeschiedenheit. Mehr als 150 Finanzexperten, Notenbanker und internationale Top-Ökonomen folgten vorvergangene Woche dem Ruf von Mario Draghi, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) – zum Nachdenken über die zukünftige Geldpolitik. Draghi war entzückt von seiner Veranstaltung und demonstrierte gar Demut: „Ich bin zutiefst dankbar, was ich in den vergangenen zwei Tagen alles gelernt habe“, schwärmte er und bat die Anwesenden: „Kommen Sie nächstes Jahr wieder.“
Dass das weltweite Interesse an dem Treffen so groß war, lag nicht zuletzt an einem ganz anderen Termin – der Ratssitzung der EZB am kommenden Donnerstag. An diesem Tag könnten die Frankfurter Währungshüter eine neue Ära der Geldpolitik einläuten. Seit einigen Wochen bereits bereitet die EZB die Märkte darauf vor, dass sie die geldpolitischen Zügel erneut lockern und dabei auch ganz neue Wege ausloten will.
In Sintra beendete Draghi seine detaillierte Analyse der „Anatomie der Inflation“ mit den aufschlussreichen Worten: „Wir werden im EZB-Rat die Nachteile und Vorteile eines jeden geldpolitischen Instruments sehr genau debattieren. Worüber wir nicht streiten werden, ist unsere Zielmarke einer Inflation von zwei Prozent.“
Deflationäre Abwärtsspirale
Von dieser Zielmarke sind die Volkswirtschaften im Euro-Raum allerdings meilenweit entfernt. Sie liegt derzeit gerade einmal bei 0,7 Prozent. Die niedrige Teuerungsrate, die nach wie vor schwächelnde Konjunktur in vielen Euro-Staaten und die lahmende Kreditvergabe könnten in eine deflationäre Abwärtsspirale münden, fürchten die Euro-Hüter.
Das ließe die Schuldenquoten der Euro-Staaten wieder in die Höhe schnellen. Eine – de facto – Nullzinspolitik soll daher nun die Inflationsrate steigern und den Euro-Wechselkurs drücken, um die Exportwirtschaft anzukurbeln.
Die Notenbanken, das zeigte sich auch in Sintra, rücken damit immer mehr ins Zentrum der Politik. „Zentralbanken haben jetzt schon und werden auch in Zukunft ein breiteres Mandat haben“, sagte Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Den anwesenden Notenbank-Chefs rief sie zu: „Für mich sind die Zentralbanker die Helden der Krise. Und Sie haben die Möglichkeit, das zu bleiben.“
Das Problem ist nur: Was die Helden verordnen, ist eine Medizin mit gefährlichen Nebenwirkungen. Was bedeuten Geldschwemme und Nullzinspolitik für Konjunktur, Sparer und Investoren?
1. Wozu brauchen wir überhaupt Zinsen – und wie hoch sollten sie sein?
Die meisten Menschen denken beim Begriff Zinsen an das, was ihnen die Bank für ihren Ratenkredit in Rechnung stellt oder für Spareinlagen gutschreibt. Doch Zinsen haben für Wirtschaft und Gesellschaft eine weitaus größere Bedeutung: Sie sind eine Kategorie menschlichen Handelns.
Der Zins spiegelt wider, dass die Menschen eine Vorliebe für raschen Konsum, für den Genuss im Hier und Jetzt haben. Ökonomen sprechen von der Zeitpräferenz. Diese Vorliebe führt dazu, dass die Menschen einen Ausgleich verlangen, wenn sie auf schnellen Konsum verzichten.
Wer spart und auf Konsum verzichtet, erhält dafür deshalb einen Zins. Je höher die Präferenz der Menschen für den Gegenwartskonsum ist, desto höher ist der geforderte Zins. In einer freien Marktwirtschaft kann der Zins niemals null oder negativ sein. Denn eine negative Zeitpräferenzrate bedeutete, dass die Menschen ihren gesamten Konsum in die Zukunft verschieben.
Verzerrte Entscheidungen
Doch in der Realität herrscht keine freie Zinsbildung. Vielmehr manipulieren die staatlichen Zentralbanken die Zinsen nach Belieben. So hat die EZB die Marktzinsen durch ihre Niedrigzinspolitik in den vergangenen Jahren immer weiter nach unten gedrückt. Sie liegen mittlerweile wohl weit unter der Zeitpräferenzrate der Menschen.
Die Mini-Zinsen verzerren die Entscheidungen zwischen heutigem und zukünftigem Konsum. Sie vergällen den Menschen das Sparen, schmälern die Kapitalbildung – und fördern ein Leben auf Pump.
Die Pläne der EZB
2. Was plant die Europäische Zentralbank?
Experten erwarten, dass die EZB auf ihrer mit Spannung erwarteten Sitzung am kommenden Donnerstag ein Bündel von Maßnahmen ergreift:
- Senken des Refi-Satzes Wahrscheinlich senkt die EZB den Hauptrefinanzierungssatz (Refi-Satz), zu dem sie den Geschäftsbanken Zentralbankgeld leiht, von derzeit 0,25 in Richtung null Prozent. Das Kalkül: Die Banken sollen die niedrigeren Geldbeschaffungskosten an ihre Kreditkunden weitergeben.
So sollen das Kreditgeschäft und die Konjunktur in den Krisenländern angekurbelt werden. Ob dies gelingt, ist fraglich. Zum einen ist der Zins schon jetzt historisch niedrig. Zum anderen sind Bürger und Unternehmen in den Peripherieländern hoch verschuldet. Ihr Interesse an zusätzlichen Krediten dürfte daher gering sein.
- Negativer Einlagenzins Erstmals in der Geschichte der Euro-Zone könnte am Donnerstag ein Leitzins in den negativen Bereich rutschen. Experten erwarten, dass die EZB den Zins für Einlagen der Geschäftsbanken bei der Notenbank von derzeit null auf knapp unter null Prozent senkt.
Den Notenbankern ist es ein Dorn im Auge, dass die Institute ihr Geld auf Zentralbankkonten parken, statt damit Kredite zu vergeben. Ein Strafzins fürs Geldparken soll sie dazu animieren, mehr Kredite zu vergeben. Zudem erhoffen sich die Währungshüter eine Belebung des Interbankenmarktes, auf dem sich die Banken gegenseitig Zentralbankgeld ausleihen.
Solange aber die Kreditnachfrage nicht anspringt, sind alle Mühen der Banken, das Geld unters Volk zu bringen, vergebens. Dass sie es anderen Banken unterjubeln können, ist ebenfalls unwahrscheinlich. Denn solange sich die Banken bei der EZB so viel frisches Geld leihen können, wie sie wollen, besteht für sie kein Grund, am Interbankenmarkt um Zentralbankgeld zu betteln.
„Die Erwartungen an einen negativen Einlagenzins sollten nicht zu hoch gesetzt werden. Es ist eher als symbolische Geste zu verstehen, dass die EZB sich gegen das zunehmende Deflationsrisiko stemmen wird“, urteilt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.
Zudem birgt der negative Einlagenzins auch Risiken. So könnten die Banken versuchen, ihr Geld im Ausland anzulegen, um dem Strafzins zu entgehen. Der Umtausch von Euro in ausländische Währungen schickt dann den Euro-Wechselkurs auf Talfahrt.
Die Regierungen der Südländer dürften das zwar bejubeln. Schon lange drängen sie auf einen schwächeren Euro, um ihre Exporte anzukurbeln. Doch je schwächer der Euro wird, desto teurer werden die Einfuhren. Dies schmälert die reale Kaufkraft der Bürger und bremst den Konsum. So könnte der Negativzins am Ende die Konjunktur sogar schädigen.
Um dem Negativzins zu entgehen, könnten die Banken das Zentralbankgeld auch in den Kauf von Staatsanleihen der Peripherieländer stecken. Dann ginge die monetäre Staatsfinanzierung durch die Hintertür in die nächste Runde. Zudem drückten die Käufe die Renditen nach unten. Die Regierungen könnten sich billiger finanzieren, der Spar- und Reformdruck sänke.
Dass die Banken dem negativen Einlagenzins ganz entkommen, ist jedoch unwahrscheinlich. Die meisten Geldhäuser halten Notgroschen bei der Zentralbank, um unerwartete Reserveverpflichtungen erfüllen zu können. Die anfallenden Strafzinsen werden sie an ihre Kunden weitergeben.
„Den Schaden haben die Sparer, deren Zins nun noch weiter unter die Inflationsrate gedrückt wird, allen voran die deutschen, denn sie exportieren mehr Kapital als die Sparer irgendeines anderen Landes der Welt“, kritisiert Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner ifo Instituts.
Auf dem Weg ins Schlaraffenland
Die Kreditkunden der Banken dürften ebenfalls zur Kasse gebeten werden. Das zeigt das Beispiel Dänemark. Dort hatte die Zentralbank 2012 den Einlagenzins auf minus 0,2 Prozent gedrückt, um spekulative Zuflüsse aus der Euro-Zone abzuwehren.
Die Banken reagierten prompt – und verlangten von den Kunden höhere Kreditzinsen. Diese aber dämpfen das Kreditgeschäft. Thorsten Polleit, Chefökonom von Degussa Goldhandel, fürchtet daher, dass „ein negativer Einlagenzins die Gewinne der Banken reduziert, aus denen sie Eigenkapital bilden können“. Da die Eigenkapitaldecke der Banken dünn sei, würden die Steuerzahler zur Kasse gebeten, so Polleit.
- Dicke Bertha 2.0 Um die Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen in den Peripherieländern anzukurbeln, könnte die EZB den Banken Geld über einen besonders langen Zeitraum leihen. Die Märkte spekulieren auf eine Laufzeit von vier Jahren.
Damit wäre die Bedingung verbunden, dass die Banken Kredite an Unternehmen vergeben. Andernfalls dürfte ihnen die EZB eine Strafzahlung aufbrummen. Viel bringen wird ein solches großkalibriges Leihgeschäft angesichts der flauen Nachfrage nach Krediten jedoch nicht. Die Banken dürften mit dem Geld der EZB in erster Linie Kredite vergeben, die sie ohnehin geplant hatten. Michael Schubert, Währungsexperte der Commerzbank, fürchtet zudem, dass Banken mit notleidenden Krediten die EZB-Leihgeschäfte nutzen, „um die Kredite auch dann zu prolongieren, wenn dies betriebswirtschaftlich nicht angezeigt wäre“.
- Ende der Sterilisierungsgeschäfte Zwischen Frühjahr 2010 und Herbst 2012 hat die EZB von den Banken Staatsanleihen der Euro-Krisenländer in Höhe von 210 Milliarden Euro gekauft. Damit das Geld nicht in die Wirtschaft abfloss, bot sie den Banken an, dieses auf verzinsten Terminkonten bei der EZB anzulegen. Beendet die EZB diese Sterilisierung nun, stehen den Banken weitere Milliarden an Liquidität zur Verfügung. Das könnte die Zinsen am Interbankenmarkt weiter drücken.
- Kauf von verbrieften Krediten Die EZB erwägt, den Banken verbriefte Unternehmenskredite abzukaufen, um deren Bereitschaft zur Kreditvergabe zu erhöhen. Dies ist mit erheblichen Risiken verbunden. Zum einen ist der Markt für verbriefte Unternehmenskredite mit rund 80 Milliarden Euro vergleichsweise klein, denn nur ein kleiner Teil wird frei gehandelt. Schon kleinere Käufe der EZB ließen die Kurse kräftig schwanken. Zum anderen steuerte die EZB mit der Auswahl der Papiere die Kreditvergabe der Banken – eine Art monetäre Planwirtschaft. Außerdem übernähme die EZB die Ausfallrisiken der Kreditpapiere. Bei Wertberichtigungen trügen die Steuerzahler via EZB-Bilanz die Verluste.
3. Helfen Nullzinsen der Konjunktur?
Wer in diesen Tagen auf Stimmungsindikatoren und die Kurstafeln der Börsen blickt, könnte glauben, die Welt befände sich auf dem Weg ins Schlaraffenland. Und tatsächlich: Die deutsche Wirtschaft dürfte in diesem Jahr um mehr als zwei Prozent wachsen, die Krisenländer der Euro-Zone haben die Rezession hinter sich gelassen, in den USA läuft der Konjunkturmotor wie geschmiert.
„Mit ihren Niedrigzinsen füttert Europas Zentralbank nicht nur den Börsenboom, sondern auch den Wirtschaftsaufschwung in Deutschland“, jubeln die Börsenexperten der ARD. Doch es ist ein Aufschwung mit begrenzter Halbwertzeit. „Entfällt die Berechnung von Zins, dann entsteht der Schein; verlockt durch diesen falschen Schein, kommt es zur Kapitalfehlleitung und zu allen Folgen einer solchen“, schrieb schon 1940 der österreichische Ökonom Ludwig von Mises.
Niedrigzinsen geben den Unternehmen ein falsches Signal. Sie lassen Investitionen rentabel erscheinen, die es bei genauer Betrachtung nicht sind. Vor allem für Deutschland sind Nullzinsen viel zu niedrig. Nach Ansicht von Experten benötigt Deutschland Leitzinsen zwischen drei und vier Prozent. Die Mini-Zinsen der EZB setzen einen Aufschwung in Gang, der zunächst allgemeine Wohlfühlstimmung verbreitet. Doch der Boom ist mit Fehlinvestitionen gespickt.
Sobald die Firmen erkennen, dass sie ihr Geld in den Sand gesetzt haben, regieren in den Bürofluren wieder die Sparkommissare. Arbeitsplätze gehen verloren, die Banken müssen ihre Kredite abschreiben. „Was wir derzeit sehen, ist ein purer Scheinaufschwung, die eigentliche Bereinigungskrise steht der Wirtschaft noch bevor“, warnt Degussa-Ökonom Polleit.
Angst vor den Schuldenquoten
4. Welche Folgen hat die EZB-Politik für die Euro-Krisenstaaten?
Die Euro-Krisenstaaten dürften die geldpolitischen Lockerungen der EZB begrüßen. Vor allem Politiker in Italien und Frankreich hatten zuletzt starken Druck auf die Währungshüter ausgeübt, die Geldschleusen erneut zu öffnen. Hintergrund: die hohen Schulden.
Da die Sparbereitschaft schwindet und ein Schuldenschnitt tabu ist, müssen die Zinsen unter die Wachstumsrate des nominalen Bruttoinlandsprodukts rutschen, damit die Schuldenquoten nicht durch die Decke gehen. Erneute Leitzinssenkungen der EZB treiben die Anleger in den Kauf langlaufender Staatsanleihen. In der vergangenen Woche sind die Zinsen für zehnjährige Staatspapiere Italiens und Spaniens unter die Marke von drei Prozent gerutscht.
So günstig haben sich die Regierungen in Rom und Madrid seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr finanziert. Damit hat sich die Bonitätsbewertung von der realwirtschaftlichen Lage – Stagnation, hohe Arbeitslosigkeit – abgekoppelt. Das Fatale daran: Mit jedem Zehntelpunkt, den die Zinskosten der Krisenländer fallen, lässt auch der Druck zu Reformen und zur Konsolidierung des Staatshaushalts nach. Daher kann es nicht verwundern, dass die Regierungschefs Italiens und Frankreichs – kaum dass die EU-Wahlen vorbei sind – schon lauthals fordern, den Sparkurs in der Euro-Zone zu beenden.
5. Müssen wir langfristig mit Deflation oder Inflation rechnen?
Mit 0,7 Prozent liegt die Teuerungsrate in der Euro-Zone unter dem Inflationsziel der EZB von knapp unter zwei Prozent. Von einer Deflation, einem nachhaltigen Rückgang des Preisniveaus, sind wir aber weit entfernt. Zwar wirkt das Platzen von Kredit- und Spekulationsblasen deflationär, weil im Boom aufgebaute Überkapazitäten auf die Preise drücken.
Kommt es zu Bankenpleiten, schrumpft zudem die Geldmenge. Die Preise sinken dann auf breiter Front. In der Euro-Zone haben die Regierungen und die Zentralbank die Banken jedoch durch Liquiditäts- und Eigenkapitalspritzen am Leben gehalten und eine Kontraktion der Geldmenge verhindert.
Die Geldmenge M3 (Bargeld, Sicht-, Spar-, Termineinlagen sowie Geldmarktfonds) wächst derzeit zwar nur um 0,8 Prozent. M1 jedoch (Bargeld und Sichteinlagen), für die Finanzierung der Güterkäufe entscheidend, expandiert mit Raten von über fünf Prozent. Eine Deflation ist daher kaum zu erwarten.
Dass die Preise in einigen Krisenländern nachgeben, ist eine Folge der rückläufigen Lohnkosten, durch die die Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen. Fängt sich die Konjunktur, steigen auch Kapazitätsauslastung und Kreditnachfrage. Dann wächst die Geldmenge beschleunigt.
Die Vehemenz, mit der die EZB auf eine höhere Inflation zustrebt, lässt Zweifel aufkommen, dass sie dann den Fuß rechtzeitig vom Gas- auf das Bremspedal wechselt. Die Bürger sollten sich also mittelfristig auf höhere Inflation einstellen.
6. Zerstört die monetäre Flutwelle unser Geldsystem?
Der Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek hatte keine hohe Meinung vom Staat als Herrscher über das Geldwesen. Er betrachtete die Geschichte des staatlichen Umgangs mit Geld als „eine Geschichte von unablässigem Lug und Trug“. Lebte der große liberale Ökonom noch, sähe er sich durch die aktuelle Geldpolitik bestätigt.
Zwar hat die EZB – anders als die Notenbanken in den USA, Japan und Großbritannien – noch nicht in ganz großem Stil Staatsanleihen gekauft und die Wirtschaft mit Geld geflutet. Daher schrumpft die Bilanzsumme der EZB, während die der anderen Notenbanken wächst. Doch könnte auch die EZB bald zur Politik der „Quantitativen Lockerung“ übergehen.
Anhaltend niedrige Teuerungsraten, eine schleppende Konjunktur und ein starker Euro könnten sie dazu treiben. Ein Ausstieg aus der Politik der Geldvermehrung wäre kaum mehr möglich. Denn die Notenbank, die als erste beginnt, die Geldmenge abzusaugen, muss mit einer rasanten Aufwertung ihrer Währung rechnen. Hat sich die Euro-Zone erst einmal an einen weichen Euro gewöhnt, ist der Entzug politisch kaum mehr durchsetzbar.
Das gilt auch für die Finanzierung der Staatshaushalte durch die Notenpresse. Auch hier dürften Gewöhnungseffekte einsetzen, die der EZB den Rückzug aus der quantitativen Lockerung unmöglich machen. So wäre die EZB endgültig zum Finanzier der Regierungen mutiert.
Die Politik der ungebremsten Geldvermehrung ginge mit Blasen an den Finanzmärkten und heftigen Teuerungsschüben einher und zerstörte das Vertrauen in das Papiergeld. So wird aus der Finanz- und Schuldenkrise am Ende eine Geldkrise. Die Bürger begännen, den Euro durch Währungen ihres Vertrauens – vermutlich Edelmetalle – zu ersetzen. Am Ende diente der Euro nur noch dazu, offizielle Zahlungsvorgänge abzuwickeln. Ersparnisse und private Käufe wickelten die Bürger dann mit Gold oder Goldzertifikaten ab.
Die Deutschen sind die Verlierer
7. Verändert sich die Vermögensverteilung?
Grundsätzlich entlasten Niedrigzinsen die Schuldner und belasten die Gläubiger. Die Bundesbürger verfügen insgesamt über ein Finanzvermögen von rund 2000 Milliarden Euro. Dem stehen Verbindlichkeiten von etwa 1600 Milliarden Euro gegenüber. Per saldo sind die Deutschen daher Verlierer der Niedrig- und Nullzinspolitik.
Berücksichtigt man zudem die Geldentwertung sowie die Steuern auf Kapitalerträge, kommen die Niedrigzinsen einer schleichenden Enteignung gleich. „Die finanzielle Repression durch Niedrigzinsen und moderate Inflation wirkt wie eine Vermögensabgabe, die vom ersten Euro Spar-oder Versicherungsguthaben erhoben wird, einen Freibetrag gibt es nicht“, urteilt Stefan Bach, Ökonom am DIW.
Vieles spricht dafür, dass vor allem die Mittelschicht ihr Opfer ist. Sie hat einen Großteil des Vermögens in Lebensversicherungen und Sparguthaben geparkt, deren Renditen unter die Räder kommen. Die unteren Einkommensschichten hingegen haben nur wenig Vermögen, sind jedoch häufig überdurchschnittlich verschuldet. Sie dürften von den Nullzinsen tendenziell profitieren. Das gilt auch für Vermögende. Sie haben ihr Geld häufig in Sachkapital wie Aktien, Immobilien und Edelmetallen angelegt.
Die durch die Nullzinsen ausgelöste Jagd nach Rendite befördert die Preise von Häusern und Aktien. Das Vermögen der ohnehin Begüterten wächst weiter. Dazu kommt: Sie können den Wertzuwachs ihrer Vermögen als Sicherheit für neue Kredite heranziehen und mit dem frischen Geld noch mehr Immobilien und Aktien kaufen. Die Nullzinspolitik und die Kredit- und Geldschöpfung der Banken aus dem Nichts befördern so die Vermögenskonzentration. Anders als der französische Ökonom und Bestsellerautor Thomas Piketty behauptet, lässt nicht der Kapitalismus, sondern der Geldsozialismus der staatlichen Notenbanken die Vermögensverteilung ungleicher werden.
8. Wie reagieren die Geschäftsbanken auf die Nullzinspolitik?
Uwe Fröhlich, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken (BVR), warnt vor einer „naiven Haltung“. Der Zentralbankzins sei nicht die Motivation bei der Kreditvergabe durch Banken, es komme stattdessen auf die Bonität und das Geschäftsmodell der Schuldner an. Auch Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon erwartet keine Impulse für die Realwirtschaft. Wenn überhaupt, wirkt sich der niedrigere Leitzins erst mittelfristig auf die Kreditkonditionen für Betriebe und Häuslebauer aus. Relativ schnell reagieren erfahrungsgemäß allenfalls die Sätze für Tagesgeld und Kontoüberziehungen.
Wegen negativer Einlagenzinsen eine Aufbewahrungsgebühr für die Ersparnisse ihrer Kunden zu fordern können sich die Sparkassen vorerst nicht vorstellen. Zu groß ist die Angst, dass die stabilisierenden Einlagen abgezogen und bei der Konkurrenz angelegt werden.
Auch BVR-Präsident Fröhlich rechnet nicht mit negativen Sparzinsen. Die „neue Qualität der Geldpolitik mit einem immer tieferen Zinsniveau“ macht ihm gleichwohl Sorgen. „Nur die Großschuldner profitieren vom Niedrigzins, während die Geldvermögen der Normalsparer schrumpfen.“
Da die Banken bonitätsstarke Schuldner suchen, stecken sie das billige Zentralbankgeld lieber den öffentlichen Haushalten zu, was nach gängigen Bankaufsichtsregeln als risikofreie Anlage gilt.
„Wenn die Rendite geringer als die Inflationsrate ist, wirkt der Niedrigzins wie eine zusätzliche Steuer“, sagt Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband deutscher Banken. Der Fiskus hingegen profitiert: Bei einem Schuldenberg von knapp 2,2 Billionen Euro in Deutschland bedeute ein um einen Punkt niedrigerer Kreditzins langfristig eine jährliche Entlastung von 22 Milliarden Euro für die öffentliche Hand. „Der Staat sollte die Zinsersparnis nicht für neue konsumtive Ausgaben nutzen, sondern per Steuersenkung an seine Bürger weitergeben“, so Kemmer.
Eine weitere Folge der verkehrten Zinswelt ist der Vorschlag der EU-Kommission eines „Europäischen Sparbuchs“. Öffentliche Förderbanken sollen Privatanleger mit höheren Zinsen ködern, als diese bei normalen Geschäftsbanken bekommen, die nur noch Mickerkonditionen bieten.
Das per staatlich garantiertem Zins abgesaugte Geld soll dann in Kredite an klamme Firmen vorwiegend in südlichen EU-Staaten fließen. Weil die Zentralbank mit ihrer extremen Zinspolitik den Preismechanismus für unser Geld weitgehend ausgehebelt hat, soll Brüssel entscheiden, wer Liquidität zu welchem Zins anlegen darf und wer zu welchen Konditionen Kredit bekommt.
Deutsche Paradeunternehmen profitieren
9. Sind Nullzinsen für Unternehmen gut oder schlecht?
Nutznießer wären allen voran die deutschen Paradeunternehmen. Sie können ihre Bonität noch besser ausspielen, um günstig Geld bei Anhängern festverzinslicher Wertpapiere einzusammeln. So ließ die WirtschaftsWoche vor knapp einem Jahr den inzwischen verstorbenen Bilanzspezialisten Karlheinz Küting berechnen, wie viel Geld ausgewählte Dax-Konzerne durch Umschuldung in niedriger verzinste Anleihen sparten. Würden sie die Aktion nun in gleichem Umfang wiederholen und die damaligen Zinsen um weitere 0,5 Prozentpunkte drücken, kämen Ersparnisse in dreistelliger Millionenhöhe zusammen.
VW könnte den Gewinn um 74 Millionen Euro pro Jahr erhöhen. Über die Laufzeiten aller neuen Anleihen hinweg würde Europas größter Autobauer einen Windfall-Profit von 222 Millionen bis 740 Millionen Euro einfahren. Daimler müsste sich, gemessen an der Umschuldung im Jahr 2012, mit weniger zufriedengeben. Trotzdem könnten die Schwaben pro Jahr mit einer Zinsersparnis von 23 Millionen Euro rechnen, die sich über die gesamte Laufzeit auf 70 bis 235 Millionen Euro summieren würde.
Solchen Gewinnen stünden höhere Aufwendungen für die betriebliche Altersvorsorge gegenüber, weil sich die Rückstellungen schlechter verzinsen als geplant. „Die Kehrseite sehen wir bei den bilanziellen Pensionsverpflichtungen“, sagt BASF-Finanzvorstand Hans-Ulrich Engel. „Hier führt ein niedrigerer Rechnungszinsfuß dazu, dass diese stärker steigen als das Pensionsvermögen – selbst bei einer guten Performance unserer Kapitalanlagen.“
Mit weitreichenden Konsequenzen für die Unternehmensstrategie ist durch noch niedrigere Zinsen kaum zu rechnen. Bayer etwa hat jüngst für rund zehn Milliarden Euro das Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten vom US-Konzern Merck & Co. erworben. Von kleinen Veränderungen bei den Zinsen hängen Übernahmen aber kaum ab. „Schließlich steigen bei niedrigen Zinsen in der Regel auch die Preise solcher Übernahmeziele“, sagt Peter Müller, Leiter Konzernfinanzen. „Bayer kauft und investiert, weil es strategisch und ökonomisch sinnvoll ist, und nicht, weil wir es günstig finanzieren können.“
Bei ThyssenKrupp werden vor allem Vorteile der niedrigen Zinssätze gesehen: „Da wir zurzeit Nettofinanzverbindlichkeiten haben, würden wir tendenziell von einer nachhaltigen Reduzierung der Zinssätze im Markt profitieren“, heißt es aus dem Konzern. Es sei allerdings fraglich, ob sich eine mögliche Zinssatzsenkung überhaupt im Markt widerspiegelt und wie lange die neue Situation anhalten werde. Soweit, so cool. Dramatik allerdings bei RWE. Die Nettoschulden des Essener Energieversorgers sind 2012 um fast 2 Milliarden Euro gestiegen, weil RWE im Rahmen der üblichen Diskontierung zusätzliche Pensionsrückstellungen bilden musste, ein Effekt der Zinsentwicklung.
Grundsätzlich sind null Prozent Zinsen für Unternehmen nichts Unbekanntes – dank sogenannter Wandelanleihen. So begab der Medizintechnik- und Klinikkonzern Fresenius unlängst eine 375 Millionen Euro schwere Anleihe zu null Prozent Zinsen. Die Käufer kommen dennoch auf ihren Schnitt – sofern die Fresenius-Aktie innerhalb von fünf Jahren kräftig steigt.
10. Was bedeutet das Zinstief für die Anleger?
In einer Nullzinswelt kommen Anleger an Aktien nicht vorbei. Nicht nur Kursgewinne locken, auch die Aussicht auf Dividenden lässt Geld von Zinsanlagen in Aktien fließen. Momentan zahlen die Dax-Konzerne im Schnitt 2,7 Prozent Dividendenrendite – mehr als doppelt so viel, wie eine zehnjährige Bundesanleihe abwirft.
Insbesondere dividendenstarke Titel dürften vom Run auf Aktien profitieren. Allerdings verliert der Zins seine Funktion als Auslesekriterium. Bei einem Nullzins können finanziell angeschlagene Unternehmen länger überleben. Obwohl eine Pleite unvermeidbar ist, könnten Anleger im Einzelfall Aktien länger halten, als es ratsam wäre.
Der zinsbedingte Geldstrom in Aktien hebt zwar die Kurse, weil Geld neue Anlagechancen sucht und Alternativen wie Anleihen unattraktiv sind, erhöht aber auch das Anlagerisiko. Mit jedem neuen Höchststand beim Dax – ohne fundamental bessere Aussichten – koppeln sich die Kurse stärker von den Unternehmensgewinnen ab, es bauen sich Überbewertungen auf.
Schon jetzt kostet der Dax im Schnitt etwa das 18-Fache des für 2014 erwarteten Gewinns. Zum Vergleich: 2012 war es etwa das 15-Fache. Stottert der Konjunkturmotor, könnte der Crash umso heftiger ausfallen.
Der Appetit auf Hochprozenter wächst
Gold läuft zurzeit eher schlecht, weil Anleger ihr Geld vor allem in Aktien stecken und Krisenängste verflogen sind. Doch als Sicherheitsanker gehört es ins Depot, auch um mögliche Kursverluste bei Aktien kompensieren zu können. Dass Gold keine Zinsen oder Dividenden abwirft, könnten Anleger im Nullzinsszenario leichter verschmerzen, für ihr Geld bekommen sie ja auch nichts. Die Opportunitätskosten der Goldhaltung – das, was man alternativ für Zinsanlagen bekommen würde – gehen gegen null. Und wenn das dicke Ende – Inflation oder gar ein Zusammenbruch des Geldsystems – doch noch kommt, bietet Gold den besten Schutz.
Wenn sichere Anleihen keinen Zins mehr bringen, wächst auch der Appetit auf Hochprozenter. Allerdings sind Hochzinsanleihen von halbwegs sicheren Emittenten schon jetzt teuer. Beispiel: Eine bis 2019 laufende Staatsanleihe Mexikos mit einem Coupon von 8,125 Prozent ist derzeit für 134 Prozent zu haben. Das Mexiko-Papier bringt damit nur 1,5 Prozent Rendite.
Risiko und Rendite stehen bei Hochzinsanleihen oft in keinem gesunden Verhältnis, wie die Pleiten bei deutschen Mittelstandsanleihen gezeigt haben. Je niedriger die Zinsen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass finanzschwache Unternehmen Anleihen auflegen. Anleihen aus Südeuropa zudem notieren – weil die mit üppigem EZB-Geld gefütterten Banken sie kaufen – jenseits von Gut und Böse, ihre Renditen werden künstlich unten gehalten.
Viele der derzeit gehandelten Hochzinsanleihen kommen von Emittenten aus Schwellenländern. Sollte es zu einem Aktiencrash kommen, werden die Anleger aus Europa und Nordamerika ihr Geld zuerst aus den Schwellenländern abziehen. Auch Anleihen wären davon betroffen – was Kursverluste zur Folge hätte. Bei einem langfristigen Nullzins sind Hochprozenter keine echte Alternative, weil die Kurse zu hoch und die Renditen zu niedrig wären.
11. Was bedeutet das Zinstief für den Immobilienmarkt?
Niedrige Zinsen treiben die Immobilienpreise in doppelter Hinsicht. Häuslebauer und -käufer kommen günstig an Geld, das steigert die Nachfrage. Wenn die Verzinsung anderer Anlagen sinkt, werden Immobilien zudem attraktiver als Kapitalanlage für institutionelle Investoren.
Immer mehr Geld fließt so in die Immobilienmärkte, es droht eine Blasenbildung. Das gilt insbesondere für Nordeuropa, aber auch für südeuropäische Krisenländer wie Spanien oder Griechenland, wo die Immobilienpreise stark eingebrochen waren und bald schneller anziehen könnten, als es die wirtschaftliche Lage rechtfertigt.
In Deutschland ist nach Einschätzung der Bundesbank zwar noch keine Blase entstanden, wenn man das gesamte Land betrachtet. Doch für die städtischen Immobilienmärkte konstatiert die Bundesbank Überbewertungen von bis zu 25 Prozent in Metropolen. Schon im November hatten die Bundesbanker im Finanzstabilitätsbericht 2013 gewarnt: „Inzwischen gibt es Hinweise, dass sich der Preisanstieg von den Städten ins Umland ausbreitet.“
Und weiter: „Aus Finanzstabilitätssicht besteht das Risiko, dass eine Spirale aus steigenden Preisen am deutschen Wohnimmobilienmarkt und einer nicht nachhaltigen Kreditvergabe der Banken in Gang kommt.“ Ein schuldenfinanzierter Immobilienboom sei „eines der schwerwiegendsten Risiken für die Finanzstabilität“.
Noch gibt es Faktoren, die dem entgegenwirken. „Die Banken verhalten sich bei der Kreditvergabe sehr umsichtig“, sagt Tobias Just, Professor für Immobilienwirtschaft an der International Real Estate Business School in Eltville. „Die Marktdynamik in Deutschland ist längst nicht so stark fremdkapitalfinanziert, wie sie es in den USA oder Spanien vor 2007 war, sondern viel stärker eigenkapitalfinanziert.“
Die Mietpreisbremse mindert auch den Zustrom von Investorengeldern, denn nur wer Mieten erhöhen kann, kann auch seine Rendite steigern. „Bereits die Debatte über eine mögliche Blase hilft zu verhindern, dass tatsächlich eine entsteht“, sagt Just, die Risiken blieben so im Bewusstsein.
Auch andere Faktoren wie sinkende Studentenzahlen dürften in den nächsten Jahren den Preisanstieg bremsen. „Es wird eine Schwächung der Nachfrage und damit eine Beruhigung der Preisdynamik geben“, prognostiziert Just.
Größere Risiken schlummern mittlerweile bei den Gewerbeimmobilien. „Einzelhandelsimmobilien sind enorm teuer geworden, deshalb wenden sich Investoren Büroimmobilien zu“, sagt der Experte. „Ich halte das in einigen Märkten für eine gefährliche Entwicklung.“ Denn es gibt hohe Leerstände, die Mietzuwächse waren in den letzten Jahren nur sehr gering – selbst in den Top-Lagen.
Die Inflation frisst den Zins
12. Was wird aus Spareinlagen und Lebensversicherungen?
Sparer, die ihr Geld möglichst sicher anlegen wollen, sind gekniffen: Im Schnitt bekommen sie auf täglich verfügbares Tagesgeld schon jetzt nur 0,7 Prozent Zins. Zehnjähriges Festgeld bringt durchschnittlich 2,2 Prozent pro Jahr – vor Abzug der Abgeltungsteuer (inklusive Soli 26,4 Prozent).
Nach Steuerabzug verbleiben beim Zehnjahres-Festgeld so nur 1,6 Prozent. Das reicht knapp, damit nach Abzug der Inflation überhaupt noch ein minimaler Zinsertrag übrig bleibt. Im Klartext: Tagesgeld, Sparbücher und Festgeld sind derzeit keine Geldanlage, sondern schleichende Geldvernichtung.
Lebens-, Renten- oder Riesterversicherungen sind allerdings kein Ausweg. Denn die Versicherer legen das Geld ihrer Kunden selbst zu 90 Prozent zu festen Zinsen an; sie sind dem Niedrigzins also genauso ausgeliefert. Zwar hat der Zinsrutsch die Reserven der Versicherer erst einmal anschwellen lassen, weil von ihnen gehaltene (höher verzinste) Alt-Anleihen jetzt mehr wert sind.
Insgesamt saßen sie Ende 2012 so auf 70 Milliarden Euro Reserven. Doch davon profitieren nur Versicherte, deren Verträge auslaufen oder gekündigt werden: Sie müssen bislang einen Teil der Reserven ausgezahlt bekommen. Diese Beteiligung wird ab nun eingeschränkt. Ein neues Gesetz soll den Versicherern erlauben, Reserven aus Anleihen nicht mehr auszuschütten, solange ihre Kundenversprechen nicht ausreichend finanziert sind.
Langfristig helfen die Reserven den Versicherern sowieso nicht: Je länger die Zinsen extrem niedrig sind, desto stärker schlagen sie auf ihre laufenden Erträge durch, weil alte, höher verzinste Anleihen auslaufen. Auf Dauer ist das ein Risiko für die Stabilität der Versicherer, denn sie haben den Versicherten eine Mindestverzinsung auf den um Kosten geminderten Teil ihrer Einzahlungen garantiert – im Durchschnitt über alle Verträge 3,1 Prozent pro Jahr.
Bislang dürfen Versicherer in ihren Risikomodellen davon ausgehen, dass sie ab 2020 wieder 4,2 Prozent Rendite mit ihren Kapitalanlagen schaffen. Wäre das in der Praxis nicht machbar, müssten sie mehr Kapital zur Absicherung der Kundenansprüche vorhalten – das würde ihnen noch weniger Spielraum bei der Kapitalanlage und damit noch weniger Renditechancen geben. Die Versicherer bereiten sich bereits auf die Auswirkungen der Nullzinsen vor: Um die Last der Garantiezusagen auf lange Sicht abzumildern, sollen Neukunden ab 2015 nur noch 1,25 Prozent Mindestzins auf ihre um Kosten geminderten Beiträge bekommen – bislang gibt es 1,75 Prozent Garantiezins.
Kein Wunder also, dass der Verband der Versicherer (GDV) nun eine stärkere staatliche Förderung der Riester-Rente fordert. Die Versicherer brauchen dringend Verkaufsargumente, um Neukunden noch zum Abschluss bewegen zu können.