Synthetische Kraftstoffe Warum Friedrich Merz irrt

Friedrich Merz Quelle: dpa

Ein Verbot des Verbrennungsmotors sei falsch, sagt Friedrich Merz, Aspirant auf den CDU-Vorsitz. In ein paar Jahren könne man ihn schließlich CO2-frei mit synthetischen Kraftstoffen betreiben. Wie bitte?

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Es war ein wirtschaftspolitischer Rundumschlag, das Interview, das CDU-Politiker Friedrich Merz dem „Handelsblatt“ am Mittwoch gab. Es ging darin um Corona, die schwarze Null, Steuerpolitik. Und irgendwann dann auch den Verbrennungsmotor und die Forderung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), neue Autos mit einem solchen Motor ab 2035 nicht mehr zuzulassen. Dazu Merz: „Wenn wir (…) Verbrennungsmotoren ganz verbieten, und wenn dann in fünf Jahren saubere synthetische Kraftstoffe auf den Markt kommen, sind wir nicht mehr dabei. Wir brauchen Technologieoffenheit.“

Damit rührt Merz an der Urangst deutscher Wirtschaftspolitiker, Automanager, Gewerkschafter: Wie schon in der Chipindustrie, beim Computer, der Finanzindustrie, droht Deutschland international neuerlich abgehängt zu werden, wenn die Politik jetzt die Weichen nicht richtig stellt. Das jüngste Trauma, das Tesla und andere ausgelöst haben, indem sie bessere E-Autos bauen als die erfolgsverwöhnten heimischen Hersteller, es wiegt schwer.



SynFuels als Retter der Industrie

Da erscheinen synthetische Kraftstoffe wie der Weiße Ritter in der Not: Statt mit Benzin und Diesel, bei deren Verbrennung in einem Motor unvermeidbar mehrere Kilogramm CO2 je Liter Kraftstoff entstehen, würden ganz normale Diesel und Benziner künftig mit klimaneutralen, künstlich erzeugten Kraftstoffen fahren. Das Schöne: diese so genannten SynFuels oder E-Fuels gibt es schon; technisch sind sie machbar. Man gewinnt zunächst aus Wasser per Elektrolyse Wasserstoff, den man dann mit Kohlenwasserstoffketten anreichert, bis man das gewünschte Produkt hat: Synthetisch hergestelltes Benzin, Diesel, Kerosin. Verwendet man bei der Herstellung dieser SynFuels nur Strom aus erneuerbaren Quellen, wie Wind, Wasserkraft, Solar, dann wird bei der Verbrennung der E-Fuels im Automotor nur genau so viel CO2 ausgestoßen, wie ihnen davor bei der Herstellung zugeführt wurde. Ein klimaneutraler Kraftstoff also.

Nicht nur beim Aspiranten auf den CDU-Vorsitz Friedrich Merz, in weiten Teilen des politischen Betriebs erfreut sich das vermeintliche Wundermittel großer und derzeit schnell wachsender Beliebtheit. „Wir gehen voll auf saubere Treibstoffe“, sagt Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Auch FDP und SPD sehen in synthetischen Kraftstoffen großes Potenzial für den Klimaschutz.

Kein Wunder, scheinen sie doch zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Klimaschutz und Industriepolitik. Dank der SynFuels käme der Verkehr endlich runter von seinen grob geschätzt neun Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr weltweit; und anders als beim ungeliebten E-Auto könnte auch die deutsche Autoindustrie einfach weitermachen wie bisher: Weiter die am genausten gehonten Kolben, die am härtesten gestanzten Pleuel, die am glattesten polierten Nockenwellen und die schönsten SUVs bauen. Hunderttausende Arbeitsplätze raus aus der ungewissen Zukunft,  Greta Thunberg zufrieden, Wahl gewonnen, was will man mehr?

Was Merz nicht weiß – oder nicht sagt

Man ahnt es schon: Es ist zu schön, um wahr zu sein. Und man muss sich ernsthaft fragen, ob Politikern wie Merz das rudimentäre physikalische Verständnis fehlt, oder ob sie ihren Wählerinnen einen erheblichen Teil der  Wahrheit absichtlich verschweigen. Das Problem nämlich ist: Man braucht immense Mengen Grünen Strom, um genügend SynFuels für Millionen von Pkw herzustellen. Grünen Strom, bei dessen Herstellung es schon jetzt an jeder Ecke klemmt, wo sich gegen fast jedes neue Windrad eine Bürgerinitiative formiert.

Derzeit werden pro Jahr in Deutschland rund 600 Terawattstunden (TWh) Strom hergestellt. Das ist der Strom für alle: Industrie, Gewerbe, private Haushalte, Transport und Verkehr. Es gibt in Deutschland rund 47 Millionen Pkw, die zusammen etwa 650 Milliarden Kilometer pro Jahr fahren. Die bräuchten rund 40 Milliarden Liter SynFuels im Jahr. Und um sie klimaneutral herzustellen, benötigt man rund 1100 TWh Grünstrom.  Das doppelte des gesamten heutigen Stromverbrauchs, allein für Autos. Wie bitte soll das gehen? 

Und an der Zahl ist kaum etwas zu drehen; das liegt am sehr aufwendigen Herstellungsprozess der SynFuels. Zunächst muss man mit Strom aus Wasser per Elektrolyse Wasserstoff machen, dabei gehen die ersten 25 bis 30 Prozent Energie als Abwärme verloren. Dann muss CO2 aus der Luft eingesammelt werden, um aus dem Wasserstoff grünes Benzin oder grünen Diesel herzustellen. Beim Herstellungsprozess selbst gehen erneut 40 Prozent der Energie verloren. Und am Ende verbrennt man den teuren Stoff dann in einem klassischen Verbrennungsmotor, dessen Wirkungsgrad erneut um bis zu drei Mal schlechter ist als der eines Elektromotors. Schlussendlich werden 13, wenn man die Prozesse noch optimieren kann vielleicht mal irgendwann 18 Prozent der Primärenergie tatsächlich in Antriebskraft umgewandelt. Beim E-Antrieb sind es fast 70, bei der ebenfalls umstrittenen Brennstoffzelle immerhin noch knapp 30 Prozent.


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Zurück zum Grünen Strom, dem Rohstoff für die SynFuels: Wären die 47 Millionen Autos alle Elektroautos, bräuchte es rund 130 TWh zusätzlichen Strom - knapp ein Achtel der gut 1000, die bei der Verwendung synthetischer Kraftstoffe notwendig wären. 1000 Terawattstunden Strom nur fürs Autofahren mit Verbrenner? Mehr als heute für Industrie, Haushalte, Verkehr insgesamt. Vielleicht sagt Friedrich Merz im nächsten Interview, wie er sich das vorstellt.

Mehr zum Thema: Synthetische Kraftstoffe: teurer Irrweg oder nötiger Beitrag zum Klimaschutz?

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