Batterien: Schafft es die Autoindustrie ohne das verrufene Kobalt?

Ein Bergarbeiter trägt Roherz in Tilwizembe, einer ehemaligen industriellen Kupfer-Kobalt-Mine, außerhalb von Kolwezi, der Hauptstadt der Provinz Lualaba im Süden der Demokratischen Republik Kongo
Das Timing könnte kaum übler sein: Als hätten die Autohersteller nicht schon Ärger genug, weil die Absatzzahlen von E-Autos in Deutschland schwächeln, melden französische Medien und ein Rechercheverbund aus Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR schwere Umweltvergehen in einer marokkanischen Kobalt-Mine. Kritiker der E-Mobilität haben den Batterie-Rohstoff Kobalt schon lange im Visier: Berichte über Missstände wie Kinderarbeit in Kobaltminen in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) sorgen regelmäßig für Empörung. Das zentralafrikanische Land verfügt über mehr als 61 Prozent der bekannten weltweiten Kobalt-Reserven.
Marokko galt im Gegensatz zur DRC bisher als relativ nachhaltige Kobalt-Quelle; es wird von einigen Herstellern wie BMW und Renault daher – trotz höherer Kosten – als Kobalt-Lieferant bevorzugt. Umso unangenehmer für die Autobranche nun die Nachrichten aus der marokkanischen Mine: Der Betreiber, der Bergbaukonzern Managem, lässt den Recherchen zufolge große Mengen giftigen Arsens in die Umwelt gelangen. Auch beim Arbeitsschutz in der Mine soll es grobe Missstände geben.
Kobalt wird sein schlechtes Image also nicht so schnell los. Nun sind die Hersteller unter Rechtfertigungszwang.
Warum ist Kobalt so wichtig?
Das mattgrau-silbrige Metall verdankt seinen Namen mittelalterlichen Bergleuten: Diese hielten es zunächst für Silber; da es sich aber nicht wie Silber verarbeiten ließ und wegen des hohen Arsengehalts beim Einschmelzen stank, ersannen die Bergarbeiter eine Legende: Kobolde hätten das Silbererz gegessen und dafür das – aus damaliger Sicht – wertlose Kobalt ausgeschieden.
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Heute ist Kobalt alles andere als wertlos. Man braucht es nicht nur in E-Auto-Batterien und den Akkus von Smartphones, Laptops und Akkuschraubern, sondern auch als Farbpigment und überall dort als Legierungsmaterial, wo Stahl härter und besonders zäh werden soll: etwa in den Pleueln und Kurbelwellen von Verbrennungsmotoren.
Der Nanotech-Trick von Tesla
Seit etwa sechs Jahren versucht die Auto-Industrie, sich unabhängiger vom Problemmetall Kobalt zu machen. Noch brauchen die Hersteller es für die Pluspole (Kathoden) ihrer Batterien; diese bestehen in der heute vorherrschenden Zellchemie aus Lithiumoxiden, Nickel und Kobalt. Letzteres ist wichtig für die thermische Stabilität der Zellen, in anderen Worten: Es verhindert, dass die Zellen bei starker Wärmeentwicklung, wie sie etwa beim Schnellladen entsteht, sich verformen oder gar schmelzen.
Die Industrie hat in den vergangenen Jahren aber Fortschritte im Bemühen gemacht, den Kobalt-Anteil in ihren Batterien zu verringern. Tesla und seinem japanischen Batterieproduktionspartner Panasonic gelang es zur Überraschung der Konkurrenz bereits 2018, Kobalt von zuvor rund einem Drittel Anteil des Kathodenmaterials in Hochleistungs-Lithium-Ionen-Zellen auf rund drei Prozent zu reduzieren, wie ein Bericht der WirtschaftsWoche im Mai 2018 ans Licht brachte. Die Ingenieure eines deutschen Tesla-Konkurrenten hatten unter anderem die Batteriezellen des Tesla Model 3 im Labor auf ihre chemische Zusammensetzung untersuchen lassen.
Dabei kam heraus, dass Tesla es geschafft hatte, die für die thermische Stabilität der Zellen wichtigen Kobalt-Atome mit Hilfe einer speziellen Partikeltechnik fast vollständig außen an der Elektrodenoberfläche zu platzieren; das Innere der Kathode blieb weitgehend kobaltfrei. Davor mussten die Hersteller des Kathodenmaterials die drei Metalle wie einen Kuchenteig zusammenrühren, das Kobalt war überall gleich verteilt, für dieselbe Zelle wurde also sehr viel mehr Kobalt gebraucht. „Für die Stabilität reicht es offensichtlich aus, wenn sich das Kobalt außen an den Grenzflächen konzentriert“, sagt Larry Curtiss, Chemiker und Materialkundler am renommierten Argonne Institut in Chicago. „Weder Leistung, noch Lebensdauer der Zellen werden negativ beeinflusst, wenn sich im Kathoden-Inneren deutlich weniger Kobalt befindet“, erklärt Curtiss.
Inzwischen beherrschen die großen Zellhersteller diese Technologie mehr oder weniger gut; der Kobalt-Anteil liegt je nach Hersteller bei 3 bis 6,5 Prozent des Kathodenmaterials. „Diese relativen Einsparerfolge werden aber überkompensiert von der insgesamt viel höheren Nachfrage nach Lithium-Ionen-Zellen“, sagt Dirk-Uwe Sauer, Batterieforscher an der RWTH Aachen. Die globale Nachfrage nach Lithium-Ionen-Zellen hat sich seit 2019 von 134 auf 718 Gigawattstunden mehr als verfünffacht. Kobalt ist und bleibt ein von der EU als „kritisch“ eingestufter Rohstoff.
Neue Batterie-Zellen müssen also her; am besten welche, die ganz ohne Kobalt auskommen. Dabei gibt es einige spannende Entwicklungen. Die kobaltfreie Alternative mit dem technisch höchsten Reifegrad derzeit ist Lithium-Eisenphosphat (LFP). LFP hat einen weiteren Vorteil: Es kommt nicht nur ohne Kobalt, sondern auch ohne Nickel aus. Auch Nickel ist ein zunehmend knapper und teurer Batterierohstoff.
Lange galt die Energiedichte der LFP-Zelle, also die Strom-Kapazität, die sie pro Kubikzentimeter Volumen oder pro Kilogramm Masse speichern kann, als zu gering für mobile Anwendungen wie das E-Auto. „Gerade in den letzten zwei Jahren hat sie aber enorme Fortschritte gemacht“, sagt Sauer von der RWTH Aachen. Die kobaltfreie LFP-Batterie verbaute die Auto-Industrie zunächst nur im Billigsegment. „Inzwischen hat sie aber mehr als 30 Prozent Marktanteil, Tendenz weiter stark steigend“, sagt Sauer.
LFP-Zellen erreichen zwar immer noch nicht ganz die hohe Energiedichte der kobalthaltigen NMC- (Nickel-Mangan-Cobalt) und NCA-Zellen (Nickel-Cobalt-Aluminium). Allerdings umgehen die Hersteller diesen Nachteil durch ein anderes Batterie-Design: Weil LFP Zellen ein deutlich geringeres Brandrisiko aufweisen als NCA und NMC, lassen sie sich wesentlich dichter in die Batterie packen. Auf der Ebene des Autos speichern sie so wieder fast genauso viel Energie pro Kilogramm Gewicht wie eine Batterie aus NMC- oder NCA-Zellen.
„Anders als die kobalthaltigen NCA- oder NMC-Zellen entwickeln LFP-Kathoden keine Hitze in kritischen Zuständen wie Kurzschlüssen oder Beschädigungen“, sagt Sauer. „Außerdem wird in LFP-Zellen kein Sauerstoff als Zersetzungsprodukt freigesetzt, der sonst bei übermäßiger Hitzeentwicklung nach Kurzschluss oder Beschädigung eine weitere Gefahrenquelle darstellt“, ergänzt Dennis Kopljar, Gruppenleiter Batterietechnik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Mehr Energie dank Mangan
Inzwischen erlebt die LFP-Zelle auch eine Renaissance in der Forschung und Entwicklung, wo man sie lange für ausentwickelt und relativ uninteressant hielt, zumindest für mobile Anwendungen wie das Elektroauto, beobachtet Kopljar. „Wegen ihrer wachsenden Bedeutung in der Anwendung, vor allem in E-Autos, nimmt die vor einigen Jahren bereits totgeglaubte LFP Zelle auch in der Forschung wieder eine größere Rolle ein.“
Und das zeitigt erste Erfolge. „Einige Hersteller reichern das Lithium-Eisenphosphat-Material in der Kathode mit Mangan an“, erklärt Sauer von der RWTH. Ein Nachteil der LFP-Zelle ist die relativ niedrige elektrische Spannung innerhalb der Zelle, was sich negativ auf ihre Energiedichte auswirkt. „Durch das Mangan lässt sich die Spannung in den Zellen in einigen Betriebsbereichen um 0,7 Volt anheben und damit deutlich in Richtung der kobalthaltigen Zellen NMC und NCA“, sagt Sauer. Neben CATL, das unter anderem den chinesischen E-Auto-Marktführer BYD mit solchen manganhaltigen LFP-Zellen beliefert, stellt auch SVolt aus China diese neue Zellform her. SVolt will im saarländischen Überherrn eine große Zellfabrik bauen, eine sogenannte Giga Factory.
Abschied vom Lithium?
Langfristig die interessanteste kobaltfreie Alternative ist die Natrium-Ionen-Zelle. „Die ist definitiv ein Game Changer“, meint Batterieprofessor Sauer. In der Natrium-Batterie übernimmt das gleichnamige Metall den Job des Lithiums in der Lithium-Ionen-Batterie. An der Natrium-Batterie forschen Wissenschaftler schon lange; bisher war sie jedoch für mobile Anwendungen wie das Auto viel zu groß und zu schwer. Das ändert sich offenbar gerade schnell. „Die Natrium-Zelle hat gerade in den letzten zwei, drei Jahren enorme Fortschritte gemacht“, beobachtet Sauer.
Vor allem bei der Energiedichte holt die Technik auf. Der chinesische Akkuhersteller Hina hat dieses Jahr Natrium-Ionen-Zellen mit einer Energiedichte von 140, 150 und 155 Wattstunden (Wh) je Kilogramm (kg) vorgestellt. Zum Vergleich: LFP-Zellen erreichen knapp 180 Wh/kg, der Abstand schmilzt also. Wettbewerber CATL, ebenfalls aus China und der größte Batterieproduzent der Welt, hat nach eigenen Angaben bereits Natrium-Ionen-Zellen mit einer Energiedichte von 160 Wh/kg produktionsreif.
Sauer beobachtet zudem einen „klaren Prioritätenwechsel“ in der Automobilindustrie. In modernen E-Autos, die eigens für den Batterieantrieb konstruiert und designt sind, sei grundsätzlich mehr Platz auch für voluminösere Batterien. Der Fokus der Hersteller liege zudem nicht mehr so einseitig auf Energiedichte und Reichweite; mit dem Ausbau des Ladenetzes rücke der Preis der Batterien mehr in den Fokus, beobachtet Sauer.
Der größte Vorteil der Natriumbatterie ist das Material. Die Rolle der ladungstragenden Ionen, die beim Laden und Entladen zwischen Plus- und Minuspol hin und her schwimmen und so den Strom einspeichern und wieder freigeben, übernehmen in der neuen Batterie statt Lithium- Natrium-Ionen. „Natrium ist eines der weltweit häufigsten Elemente, etwa 400 Mal häufiger in der Erdkruste als Lithium; es ist überall billig verfügbar“, erklärt Sauer. Die besonders kritische und teure Kobalt benötigt die Natrium-Batterie ebenfalls nicht.
Die Rolle des Grafit, in den heutigen Lithium-Ionen-Batterien in der Anode mit bis zu 100 Kilogramm je E-Auto verbaut, übernimmt in der Natrium-Ionen-Zelle Hartkohlenstoff. Auch Grafit wird von der EU seit einiger Zeit als kritischer Rohstoff eingestuft: Wie beim Lithium hat China die Grafit-Aufbereitung zum Batteriematerial fest in der Hand. Hartkohlenstoff lässt sich dagegen sehr günstig aus pflanzlichen Abfällen gewinnen, etwa aus Apfel- oder Erdnussschalen. Es sei noch nicht ganz klar, welcher Materialmix sich am Pluspol, der Kathode, langfristig durchsetze, nicht alle Hersteller favorisieren Preußisch Blau, räumt Sauer ein. „Aber keines der Materialien in der Natrium-Ionen-Batterie ist so knapp oder teuer wie die in der heute gängigen Lithium-Ionen-Batterie.“
Die Natriumbatterie könnte also konkurrenzlos günstig werden: Thinktanks und Marktforscher rechnen mit Produktionskosten, die rund 40 Prozent unter denen der heutigen Lithium-Ionen-Zellen liegen. Bisher waren rund 80 Dollar pro Kilowattstunde Stromspeicherkapazität einer Lithium-Ionen-Zelle der Tiefstpreis. Mit der Natriumzelle seien „langfristig sogar 30 Dollar erreichbar“, heißt es in einer internen Präsentation des Herstellers CATL. Der Marktforscher P3 Automotive rechnet zunächst mit rund 50 Dollar.
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