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Billige Eigenmarken: Wie Marken sich ihr eigenes Grab schaufeln Quelle: dpa

Wie Marken sich ihr eigenes Grab schaufeln

Die teuren Marken in den Supermärkten versprechen höchste Qualität, um ihren Preis zu rechtfertigen. Doch häufig ist das Gegenteil der Fall: Günstige Marken schneiden in Tests besser ab. Wie kann das sein? Eine Kolumne.

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Das Testergebnis ist verheerend – und lässt einen sprachlos zurück. Der Marketing- und Werbeprofi versteht die Welt der Marken nicht mehr. Als die Branche von Disruption und Haltung zu faseln begann, glaubte man, die Marken würden gerettet, sie würden sich den Bedürfnissen der Menschen zuwenden und die Verbraucher endlich in den Mittelpunkt aller Bemühungen stellen.
Was ist passiert? Das Verbrauchermagazin Öko-Test veröffentlichte kürzlich einen Zahnpasta-Test, in dem sie nicht weniger als 398 Marken auf ihre Qualität hin prüften. Im Test untersuchte man alle Markenprodukte und Eigenmarken aus Discount- und Supermärkten, Drogerien, Apotheken und Online-Shops.

Das Ergebnis ist ein Schlag ins Gesicht der großen Marken. O-Ton Öko-Test: „Wir haben uns gefragt: Stecken umstrittene Inhaltsstoffe in den Tuben? Hilft Sensitiv-Zahnpasta wirklich bei schmerzempfindlichen Zähnen? Wie weit sind die versprochenen Aufhell-Effekte von Zahncremes wissenschaftlich bewiesen? Und: Informieren die Anbieter von Kinderzahnpasten ausreichend über Kariesschutz mit Fluorid?“

Markenprodukte mit Note ungenügend

Der Befund: Fast jede zweite Zahnpasta fiel im Test durch. 197 Produkte wurden mit mangelhaft oder ungenügend bewertet. Befriedigend oder ausreichend sind demnach 58 Zahncremes. Sie weisen laut Öko-Test „kleinere Mängel“ auf. Rund ein Drittel aller Zahnpasten schnitt mit den Noten sehr gut oder gut ab.

Das Hauptproblem: In 85 getesteten Zahnpasten für Erwachsene steckt kein oder zu wenig Fluorid. Öko-Test bewertete diese Zahnpasten mit mangelhaft. Die Tester schreiben den Marken ins Gebetbuch: „Wer seine Zähne regelmäßig mit fluoridhaltiger Zahnpasta putzt, beugt Kariesbefall vor. Diese Wirksamkeit ist ab dem Schulalter nachgewiesen.“ Und der Zusammenhang selbst für unkundige Verbraucher nachvollziehbar.

Nun möchte man als durchschnittlich intelligenter Konsument denken, dass den großen Marken-Herstellern mit den wohlformulierten Purposes diese Fakten bekannt sind und sie für den Verbraucher das beste Produkt entwickeln, das ihnen möglich ist. Da sehen wir uns leider getäuscht.

Im Test mit sehr gut bewertet wurden die Eigenmarken der Drogerieketten und Discounter Aldi, Budni, dm, Edeka, Kaufland, Lidl, Müller, Netto, Norma, Penny, Rewe und Rossmann. Mit ungenügend oder mangelhaft hingegen die gesamte Riege der großen, bekannten Marken: Ajona, Aronal, Blend-A-Med, Colgate, Dentagard, Elmex, Lakalut, Meridol, Odol-Med3, OralB, Sensodyne, Signal und Theramed – mitsamt die Produkte der weltgrößten Hersteller Colgate, GlaxoSmithKline, Procter & Gamble, Schwarzkopf/Henkel und Unilever.

Guter Rat: Marken meiden

Dem Verbraucher scheint demnach geraten zu sein, teure Marken zu meiden und besser die billigen Eigenmarken der Discounter zu kaufen. Inzwischen weiß ohnehin jeder Verbraucher, dass die meisten Handelsmarken in den Fabriken der großen Markenartikler hergestellt werden.

Diese Eigenmarken sind längst mehr als nur billige Nachahmer. „Die Positionierung hat sich in den vergangenen Jahren geändert“, sagt Olaf Roik vom Einzelhandelsverband HDE. „Früher waren Eigenmarken Preiseinstiegs-Produkte. Heute gibt es sie auch in der Mittelklasse und im Premiumbereich.“

Der Marktanteil der Handelsmarken liegt schon heute bei fast 40 Prozent und ihr Siegeszug geht weiter. Offenbar mit Recht und zum Vorteil der Verbraucher.

Schlechte Markenqualität ist Programm

Ein Einzelfall ist das schlechte Abschneiden der Marken-Zahnpasten schließlich nicht. So fielen bei einem Handcreme-Test zahlreiche Marken-Lotionen wegen Schadstoffen durch: „Vor allem namhafte Marken wie Dove, Neutrogena und O'Keeffe's enthalten Problemstoffe, auf die Hände und Umwelt gut verzichten können“, urteilten die Tester.

Beim Test von Duschgels für Männer wurden in Markenprodukten jüngst krebsverdächtige Stoffe entdeckt: „Zudem stecken in den getesteten Produkten häufig problematische Duftstoffe - allen voran das möglicherweise zeugungsgefährdende Lilial. Negativ ist das Dove-Duschgel aufgefallen. Es war als einziges im Test mit aromatischen Mineralölkohlenwasserstoffen verunreinigt. Darunter können sich Stoffe befinden, die möglicherweise Krebs erregen.“ Dove stammt aus dem Hause Unilever.

Beim Test von Sensitiv-Sonnencreme waren nur vier von zwanzig Marken empfehlenswert: „In fast Dreiviertel der Sonnencremes stecken bedenkliche UV-Filter, die unter Verdacht stehen, hormonell zu wirken. Zudem bemängeln wir unter anderem den Einsatz von Polyethlyenglycolen, Paraffinen, Silikonen und weiteren problematischen Kunststoffen. In vielen Produkten im Test kommen chemische UVB-Filter zum Einsatz, die im Verdacht stehen, wie ein Hormon zu wirken. Noch deutlichere Hinweise auf eine Hormonwirkung liegen für den Filter Ethylhexylmethoxycinnamat vor. Er steckt in der Lancaster Sun Sensitive Sonnenmilch.“

Marken nicht besser als Discounterware, sondern schlechter

Noch deutlichere Worte fand die Stiftung Warentest beim Test von Sonnencremes: „Bei der Wahl der richtigen Sonnencreme greifen viele Kunden zu Markenprodukten von Nivea, Douglas oder Garnier. Stiftung Warentest bestätigt aber im Test: Marken-Sonnencreme ist nicht besser als günstiger Sonnenschutz vom Discounter - sondern fast immer schlechter. Den ersten Platz sichern sich Sonnenschutzmittel (LSF 30) von Lidl und dm.“

Die Tests stammen allesamt aus diesem Jahr. Die Ergebnisse wiederholen sich und lassen in den Augen des Verbrauchers die Erkenntnis reifen: Markenartikel sind manchmal gut, oft jedoch von mieser Qualität. Die preiswerteren Eigenmarken des Handels sind in der Regel von deutlich besserer Güte. Oder: Billiger ist besser.

Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Markenkonzerne die Gräber ihrer Marken immer tiefer schaufeln. Offenbar ist es nötig, sie daran zu erinnern, was eine Marke überhaupt ist. Die Interessenvereinigung der Marken, der mächtige Markenverband, veröffentlicht dazu folgende Definition: „Mit einer Marke wird am Markt zunächst ein Qualitätsversprechen gegeben, das bei den Konsumenten bzw. der Zielgruppe eine dauerhaft werthaltige, nutzenstiftende Wirkung erzielt.“

Wertlos statt werthaltig, unnütz statt nutzenstiftend

Nach offizieller Eigendefinition ist also die Rede von „Qualitätsversprechen“, von „werthaltig“ und „nutzenstiftend“. Wann aber haben sich die Markenhersteller zuletzt gefragt, welche Qualität sie herstellen? Und wann begannen sie, die Verbraucher an der Nase herum zu führen? Zahlreiche ihrer Produkte erweisen sich als wertlos, unnütz und von minderer Qualität.

Wir erinnern uns: Schon 2017 entdeckte die Stiftung Warentest in Großpackungen der Marke Ariel mangelhafte Ware. Und bei der Wahl zur „Mogelpackung des Jahres 2019“ führte mit großem Abstand kein „no-name“, sondern die Chipsletten von Lorenz.



Die Markenhersteller, die sich so sehr wünschen, dass ihre Marken zu „love brands“ werden, scheinen nichts verstanden zu haben. Statt ihre Kunden wertzuschätzen und zu respektieren, verhöhnen sie sie. Mit der vielgerühmten Haltung, von der ihr Marketing seit Jahren schwadroniert, hat das nicht im Entferntesten zu tun.

Sie bringen damit auch die Werbung in Verruf, eine Qualität zu versprechen, die die Marken offenbar nicht einmal zu halten beabsichtigen. Sie vernichten so sukzessive, aber nachhaltig die Werbebranche, ihr eigenes Marketing und am Ende die Milliardenwerte, auf denen ihre Unternehmensimperien aufgebaut sind.

Es ist höchst erstaunlich, dass die Aktionäre das stillschweigend zulassen. Wenn die Marketingchefs in den Unternehmen eine Aufgabe besitzen, dann besteht sie darin, wenigstens die Produktqualität zu fordern, mit denen ihre Marken einstmals groß, erfolgreich und profitabel wurden.

Der Onlinehändler Amazon wird es mit Freude zur Kenntnis nehmen. Denn der hatte ohnehin mit seinen Eigenmarken vor, die Produkte der Markenartikel-Hersteller aus den Regalen zu torpedieren. Amazon wird dabei leichtes Spiel haben.

Und ich? Ich habe meine geliebte Marken-Zahnpasta wutentbrannt vom Einkaufszettel gestrichen.

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