Riedls Dax-Radar
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Top-Aktien laufen lassen, Nachzügler einsammeln

Auch wenn immer mehr Einzelwerte vom Aufschwung erfasst werden, täte dem Dax eine Pause gut. Interessant könnten dann Turnaround-Aktien werden, etwa Merck und die Deutsche Bank. Eine Kolumne.

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Mit 10,4 Prozent Kursplus im Dax fiel das erste Quartal an der deutschen Börse besser aus als erwartet. Zwar hatten die meisten Börsenstrategen nach den geldpolitischen Hoffnungen zum Jahreswechsel – den Hinweisen der US-Notenbank auf mehrere Zinssenkungen – einen positiven Jahresstart auf der Agenda. Doch für März und April wurde dann überwiegend mit einer Korrektur der hoch gespannten Erwartungen gerechnet. Nun sind zwar die ursprünglichen Zinshoffnungen deutlich eingeschrumpft, von einer Korrektur an den Börsen allerdings ist weit und breit noch nichts zu spüren. Im Gegenteil: 

Neben dem Dax haben die führenden Börsenbarometer Dow Jones, S&P 500, Nasdaq und Euro Stoxx 50 Rekordniveau erreicht. Selbst umfassende Indizes wie der europäische Stoxx 600 und hierzulande der CDax sind mittlerweile auf neues Terrain vorgedrungen. Die Börsenhausse hat an Marktbreite gewonnen, das macht sie stabiler. 

Kurstreiber im Dax sind die erfolgreichen Schwergewichte SAP, Siemens, Allianz, Airbus und zunehmend Münchener Rück. Dazu kommt, wenn auch mit weniger Kapitalisierung, Überflieger Rheinmetall. Entscheidend für die Marktverfassung ist, dass diese Aktien nicht einfach im Fahrwasser einer allgemeine Entwicklung mit nach oben gespült werden, sondern hinter jeder Aktie eine erfolgreiche Unternehmensstory steht: SAP hat die Wende in die Cloud geschafft, Siemens kommt mit seiner Transformation zum Hightech-Konzern voran, die Assekuranzen werden zunehmend zu einem großen Back-up in einer Zeit wachsender Unsicherheit; und Airbus und besonders Rheinmetall erleben mit der Wiederaufrüstung den Boom des Jahrzehnts.

Hinter den Top-Performern im Dax steht eine Reihe wichtiger Industriewerte, die weiterhin gute Zahlen liefern und analytisch günstig sind: etwa die Fahrzeugkonzerne BMW, Mercedes-Benz, Porsche AG oder Daimler Truck. Entgegen den Befürchtungen eines konjunkturellen Absturzes und möglicherweise schwacher China-Geschäfte kommen diese Unternehmen beim Umbau zur neuen Mobilität gut voran. Vor allem BMW und Daimler Truck profitieren davon, sich nicht eindimensional auf eine zukünftige Antriebsart festgelegt zu haben, sondern technologieoffen mehrere Entwicklungen voranzutreiben. 

Dritte Gruppe im Dax sind stabile Dauerläufer. An der Spitze stehen hier die Deutsche Börse AG und Beiersdorf. Beide sind nicht mehr billig und deshalb auch für Korrekturen anfällig. Eine gute Marktposition, stabile Wachstumsraten und ansehnliche Margen sprechen hier für eine langfristige Fortsetzung der Trends. Ebenfalls zu dieser Gruppe gehören die Deutsche Telekom und E.On – auch wenn sich die Performance hier eher in der Dividende zeigt und weniger im Kurs.

Als vierte Gruppe lassen sich Spezialsituationen zusammenfassen: Chemiehändler Brenntag vor der langfristigen Aufspaltung, Kunststoffkonzern Covestro in Gesprächen um eine mögliche Übernahme mit dem arabischen Staatskonzern Adnoc. Wegen des geringen Börsenwerts spielen diese Aktien für den Dax keine tragende Rolle.

Eher gilt das wieder für eine Reihe enttäuschender Werte, die den Aktienmarkt seit einiger Zeit bremsen: Die Deutsche Post, die nach dem Logistikboom der vergangenen Jahre erst einmal eine Pause einlegt; Stromproduzent RWE, der die hoch gespannten Erwartungen an das Geschäft mit neue Energien so nicht erfüllen kann; Gesundheitskonzern Fresenius, der bei der Suche nach einem neuen, nachhaltigen Geschäftsmodell nur mühsam voran kommt.

Und selbst Volkswagen (und damit auch Großaktionär Porsche Holding) und Infineon treten auf der Stelle – wobei in beiden Fällen bisher nicht aufgegangene Hoffnungen auf die E-Mobilität bremsen. Die günstige Bewertung dieser Aktien sollte allerdings ein Puffer gegen weitere Rückschläge sein. 

Wendespekulationen um BASF

Sechste und für aktive Anleger interessanteste Gruppe sind Wendespekulationen im Dax. Wichtigster Kandidat ist hier Großchemiker BASF, dem trotz schwelender Energiefrage, Unsicherheiten um den entscheidenden Markt China und die allgemeine Branchenkonjunktur zuletzt mit dem Sprung über 49 Euro ein Kaufsignal gelungen ist. Die hohe Dividende und die solide Kapitalisierung sind die Basis für ein mögliches Comeback an den Börsen. Ein Anstieg über 54 Euro wäre ein weiteres Kaufsignal. 

Mit Henkel, Continental und Adidas arbeiten drei weitere Klassiker an ihrer Wende. Dass Sportartikler Adidas trotz Verlust der prestigeträchtigen Ausstattung der Nationalmannschaft derzeit wesentlich besser läuft als die Konkurrenten Nike und Puma, stimmt zuversichtlich.

Bei Conti gab es zuletzt einen Dämpfer vom Großkunden BMW, dennoch ist die Aktie gemessen am Geschäftsvolumen günstig. Bei Henkel sollte dank guter Marktposition und anziehender Rentabilität das Risiko weiterer Kursverluste begrenzt sein. Erst mühsam auf der Suche nach einem Kursboden ist Pharma- und Agrarchemiehersteller Bayer. Womöglich kommt es erst im späteren Jahresverlauf bei substanziell besseren Zahlen zu einer Stabilisierung des Kurses. 

Perspektiven für Deutsche Bank

Zu den vielversprechendsten Titeln im Dax gehört derzeit die Deutsche Bank. Zum zweiten Mal hintereinander haben die Deutsche 2023 netto mehr als fünf Milliarden Euro verdient.

Und für 2024 sind die Perspektiven nicht schlecht. Privatkundengeschäft und Unternehmensbanking profitieren vom erhöhten Zinsniveau und von der Chance, dass die allgemeine Konjunktur sich schrittweise stabilisiert. Im Wertpapiergeschäft sind die Folgewirkungen des Anleihecrashs von 2022 überwunden, sowohl bei den Emissionen wie im Handel ist der Markt wieder ins Laufen gekommen. Die Vermögensverwaltung hat angesichts guter Börsen reichlich Rückenwind. 

Nachholbedarf hat die Deutsche Bank weiter auf der Kostenseite. Zwar hat es hier in den vergangenen Jahren substanzielle Einsparungen gegeben; die Aufwand-Ertrags-Quote von 75 Prozent aber will die Deutsche Bank mittelfristig in Richtung 60 Prozent drücken. Insgesamt dürften damit in den nächsten Jahren weitere Gewinnersteigerungen möglich sein – und die wiederum sind die Basis für angekündigte Dividendenaufstockungen und Aktienrückkäufe. 

Mit dem Anstieg über 13 Euro hat die Aktie ein prozyklisches Kaufsignal gegeben. Im Bereich knapp unter 15 Euro, dem Hoch aus dem Jahr 2022, ist kurzfristig mit einer Konsolidierung zu rechnen. Langfristig erlaubt die Bewertung noch deutlich höhere Kurse. Sollte die Deutsche Bank in den nächsten Jahren zum Beispiel sechs Milliarden Euro netto verdienen und angesichts der Rentabilität, der Marktposition und der Kapitalstärke (mehr als 13 Prozent harte Kernkapitalquote) eine Bewertung um zehn erreichen, ergäbe dies einen Börsenwert von 60 Milliarden Euro. Selbst bei unveränderter Aktienstückzahl wären das Kurse um 30 Euro.

Diese Hochrechnung bedeutet nicht, dass die Aktie der Deutschen sich auf absehbare Zeit verdoppelt, zeigt aber, welche Chancen die Bank im internationalen Vergleich nach wie vor birgt. 

Merck hat Nachholbedarf

Ebenfalls Nachholbedarf zeichnet sich bei der Darmstädter Merck ab. 2023 ging der Nettogewinn des Pharma- und Laborkonzerns um 15 Prozent auf 2,8 Milliarden Euro zurück. Verantwortlich dafür war ein schwächeres Geschäft mit Flüssigkristallen, das vom schwierigen Absatz von Bildschirmen (für Fernseher und Smartphones) beeinträchtigt wurde. Zudem leidet die Laborsparte immer noch unter hohen Lagerbeständen, die viele Kunden in der Pandemie angehäuft hatten. Dank starker Medikamente gegen Krebs und Multiple Sklerose läuft die zentrale Pharmasparte gut. 

Nach dem Übergangsjahr 2023 aber könnte die laufende Saison wieder besser ausfallen. Im Laborgeschäft sollten die Altlasten der Coronazeit abgehakt werden. Im Pharmageschäft gab es zwar bei neuen Projekten Enttäuschungen, mit Xevinapant hat Merck aber wieder einen vielversprechenden neuen Kandidaten gegen Krebs in der Pipeline. Im zweiten Quartal sollen hier wichtige Studienergebnisse veröffentlicht werden. 

Merck-Aktien sind im Branchenvergleich weder billig noch teuer, dürften aber nach zwei Jahren ausgiebiger Korrektur die zuletzt schwächeren Ergebnisse verarbeitet haben. Ein Anstieg über 170 Euro hinaus könnte eine Fortsetzung des langjährigen Aufwärtstrends einleiten. Das meint offensichtlich auch Mercks Life-Science-Chef Matthias Heinzel, der vor kurzem für 614.000 Euro Merck-Aktien zum Kurs von 159 Euro gekauft hat.

Fazit für den Dax: Die Entwicklung der einzelnen Segmente im Dax zeigt, dass der deutsche Aktienmarkt keineswegs unrealistisch heiß gelaufen ist. Im Grunde steht hinter jedem Dax-Wert eine geschäftliche Entwicklung, von denen die Kurse untermauert werden: positiv in Fällen wie SAP oder Allianz, enttäuschend bei Volkswagen oder Bayer, hoffnungsvoll bei Merck oder der Deutschen Bank. 

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Dennoch lässt dies nach fünf Monaten massiver Kursgewinne im Dax Spielraum für eine vorübergehenden Korrektur. Das jüngste kurzfristige Ziel von 18.700 Punkten (das sich vom Ausmaß des vorangegangenen Aufschwungs von November bis Dezember 2023 ableiten lässt), hat der Dax fast erreicht. Selbst wenn es nach neuen Inflationsdaten aus Amerika kein Umsteuern der Notenbanken geben sollte und weiterhin der Blick auf mögliche Zinssenkungen von Mitte des Jahres an gerichtet ist, täte dem Dax ein Rücksetzer gut, vielleicht in den Bereich um 17.000 Punkte. Dass nach dem ungewöhnlich starken ersten Quartal 2024 auch das zweite Quartal so gut ausfällt, dürfte wenig wahrscheinlich sein. 

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