Onlinehändler „Analoge Händler, die sterben wollen, sollte niemand hindern“

Spätestens beim Corona-Boom des Onlinehandels müsste den letzten unbelehrbaren Online-Widerständlern klar geworden sein: Am Verkauf im Netz führt kein Weg vorbei. Quelle: imago images

Amazon, Ebay und Zalando buhlen mit zahlreichen Initiativen um kleine Händler aus darbenden Innenstädten. Die nächsten Aktionen laufen gerade an. Doch ihr Nutzen ist häufig nur symbolisch. Drei Händler berichten.

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Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Mitte September rief der Handelsverband Deutschland zwei Initiativen zur Digitalisierung stationärer Händler ins Leben. In Zusammenarbeit mit berüchtigten US-Unternehmen: Amazon und Google. Wie der HDE nur mit diesen Unternehmen kooperieren könne, wollten Händler wissen. Für Stephan Tromp, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des HDE und dort zuständig für „Querschnittsthema Digitalisierung“, sind es die „üblichen Reaktionen“. Er kennt sie, die Angst der Händler vor der schier übermächtigen Konkurrenz. Die Angst vor einem vermeintlichen Pakt mit dem Teufel. Der HDE veranstaltete schon in der Vergangenheit Aktionen und Initiativen mit großen Onlinekonzernen aus den USA.

Doch dieses Mal geht es ums Überleben. Die Coronakrise stellt vor allem die „zigtausend Mittelständler“ im HDE vor große, teils existenzielle Herausforderungen. Und deshalb wurde Stephan Tromp deutlich. Sehr deutlich: Der Verband habe die „verdammte Pflicht“, den Mitgliedern die unterschiedlichen Möglichkeiten im Web aufzuzeigen. Da sei der HDE „Überzeugungstäter“.

Illusionen macht sich der Manager nicht: Der Onlinetrend? „Ist nichts Neues“. Doch Corona beschleunigt ihn. Ein Wachstum von 13,3 Prozent verzeichnete der E-Commerce laut aktuellen Zahlen des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland im dritten Quartal 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Für Tromp Grund genug, „noch einmal und auch sehr eindringlich an die Händler zu appellieren“. Denn die Initiativen sind ebenfalls nicht neu. Aber spätestens bei solchen Wachstumszahlen müsste den letzten unbelehrbaren Online-Widerständlern klar geworden sein: Am Verkauf im Netz führt kein Weg vorbei. Für diese Erkenntnis bedarf es keiner Initiative. Eigentlich. Doch was bringen die Projekte von HDE, Amazon, Ebay und Co. dann?

René Neumann muss es wissen. Er nahm schon vor dreieinhalb Jahren mit seinem Unternehmen ordeo.de an einer ähnlichen Initiative teil. Damals suchte der Onlinehändler (in Kooperation mit der WirtschaftsWoche; Anm. d. Red) nach dem „Unternehmer der Zukunft“. Neumann gehörte zu den vier Gewinnern, sicherte sich unter anderem einen Flug nach Seattle – an den Hauptsitz von Amazon. Seine Firma aus dem niedersächsischen Uelzen handelt mit Bürobedarf, Büromöbeln und Schulranzen.

Und heute? „Wir sind immer noch auf Amazon vertreten“, sagt Neumann. Und schiebt direkt eine Einschränkung hinterher: „Allerdings fahren wir dort nicht mehr mit der vollen Kapazität, mit der wir begonnen haben.“ Gestartet sei ordeo.de auf Amazon mit dem gesamten Sortiment, das im Lager verfügbar war: 17.000 Produkte. Das ging nicht lange so, Ordeo reduzierte das Angebot schnell. Auf Artikel, die genug Marge abwerfen. Immerhin habe er bei einigen Waren im Onlinehandel schnell mal 50 Mitbewerber, sagt Neumann. Die Reduktion fiel drastisch aus: Von 17.000 Produkten auf 17. „Heute bieten wir knapp einhundert Artikel auf Amazon an“, sagt Neumann. Die lukrativsten davon: Business-Taschen aus Leder.

Gutes Geschäft mit knallharten Spielregeln

Über Amazon macht Ordeo etwa fünf Prozent des Umsatzes, verkauft vorwiegend Produkte in höheren Stückzahlen über das Programm „Fulfilment by Amazon“. So erhalten die Artikel etwa das Prime-Logo. „Das lohnt sich bei ein paar wenigen Artikeln nicht, damit bespielen wir Ebay“, sagt Neumann. Auf die Initiative mit Amazon blickt er nicht unkritisch zurück: „Wann dringen schon positive Nachrichten über Amazon nach außen?“, fragt Neumann. Er bereue es trotzdem nicht, an dem Programm teilgenommen zu haben. „Ohne die Hilfe der Initiative wären wir beim Onlinehandel sicherlich nicht so weit wie heute. Vielleicht wären wir dann heute gar nicht bei Amazon.“ Klar sei aber: „Es gibt knallharte Spielregeln, die Amazon vorgibt, und an die man sich als professioneller Händler halten sollte.“ Wenn man das zu einhundert Prozent tut, sei das Geschäft auf Amazon lukrativ, sagt Neumann. Eine Gefahr bestehe trotzdem immer. „Wenn es zu Problemen kommt, nimmt sich Amazon heraus, Konten zu sperren oder Zahlungen einzufrieren.“ Etwa wenn zu viele Lieferungen verspätet versendet würden.

Peter Höschl saß 2017 im Expertenteam der Aktion „Unternehmer der Zukunft“. Im Interview mit der WirtschaftsWoche äußerte er sich so zum Nutzen solcher Initiativen: „Erfahrungsgemäß gibt es im Internet alle Informationen und Tools, die es für den selbstständigen Start eines Onlineshops braucht.“ Allerdings, sagt Höschl, „ist der Start ohne Erfahrung im E-Commerce schwer zu stemmen, und die Fülle an Möglichkeiten kann einen Händler, der von Grund auf anfängt, schnell erschlagen“. Da seien solche Initiativen „wertvolle Leitplanken“. Zu der neuen Initiative von HDE und Amazon hat Höschl ebenfalls eine Meinung: Die sei „eine Fortführung des bestehenden Engagements – mit deutlich mehr PS auf der Straße. Wie erfolgreich sie wird, bleibt trotzdem abzuwarten“.

So gut sind andere Online-Plattformen nicht auf die Aktion zu sprechen – und halten auch mit Kritik am großen HDE nicht zurück: „Eine gemeinsame Initiative mit anderen Onlinehändlern wäre für uns auch denkbar gewesen“, heißt es von einem Unternehmen etwa. Es gehe ja im Kern darum, den stationären Händlern zu helfen. „Und das geht gemeinsam deutlich besser.“

Stephan Tromp vom HDE entgegnet: „Wir mussten schnell die Frage klären, wer jetzt sofort bei einer solchen Initiative dabei sein könnte.“ Amazon und Google waren es – und seien bereit gewesen, „Ressourcen miteinzubringen“. Außerdem seien andere Onlineshops auf der Webseite von Quickstart Online verlinkt. Namentlich: Ebay, Otto und Shopify. Beim Amazon-Fokus fällt das dem Webseiten-Besucher allerdings nur am Rande auf. Der HDE-Manager macht im Interview schnell klar: „Niemand handelt bei solchen Initiativen altruistisch. Natürlich möchte Amazon mit der Initiative sein eigenes Marktplatzgeschäft fördern. Google bei der Initiative „ZukunftHandel“ übrigens auch.“ Die große Reichweite, die beide Digitalplayer mitbringen, gibt es nicht geschenkt. Auch nicht für den deutschen Einzelhandel.

Lokale Marktplätze in der Kritik

Einen anderen Ansatz als die neuen HDE-Aktionen und „Unternehmer der Zukunft“ verfolgen lokale Marktplätze. Städte und Wirtschaftsförderungen versuchen sich daran, in Kooperation mit Onlinehändlern gleich ein ganzes Kollektiv stationärer Händler gemeinsam in den digitalen Handel zu hieven. So geschehen bei der Ebay-City-Initiative. Oder bei den lokalen Marktplätzen von Atalanda, die das Unternehmen in 26 Städten betreibt.

Man könne „theoretisch jedes Dorf oder jede Stadt zu einer Ebay-City machen“, sagte Ebay im Frühjahr 2018 gegenüber der WirtschaftsWoche. Neben den damals schon aktiven Ebay-Cities Mönchengladbach und Diepholz ist lediglich das nordrhein-westfälische Velbert hinzugekommen. Der Online-Markplatz selbst gibt sich inzwischen verhaltener: „Wir glauben, dass lokale Händlerinnen und Händler dringend digitale Kanäle bedienen müssen. Das muss nicht zwangsläufig über eine Städte-Initiative erfolgen. Viel wichtiger ist, dass über Kanäle gehandelt wird, die die entsprechende Reichweite haben“, sagt Ebay-Deutschlandchef Oliver Klinck. Bei Atalanda klingt das ähnlich: „Lokale Marktplätze sind nicht das Zaubermittel, um Innenstädte zu retten“, so Geschäftsführer Roman Heimbold. Dafür sei das Thema zu komplex.

Die Zurückhaltung der Betreiber passt zu anderen Einschätzungen: „Die lokalen Marktplätze haben sich erledigt“, sagt Handelsexperte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein. Er könne Händlern nur raten, „auf einem bereits bestehenden Marktplatz der großen Plattformen zu starten.“ Besonders brisant: Heinemann war an dem Pilotprojekt der Ebay-City Mönchengladbach beteiligt, tritt als Experte in Videos auf der Ebay-City-Webseite auf. „Das Projekt in Mönchengladbach war ein interessanter Test. Der zeigt, dass zwar Potenzial da ist“, sagt Heinemann. Aber davon profitiere nur ein Bruchteil der Händler bei großen Anstrengungen. „Die übrigen, analogen Händler, die sterben wollen, sollte niemand hindern.“ Immerhin sei es fast unmöglich gewesen, Händler zu überzeugen, an dem Projekt teilzunehmen, verrät Heinemann. Oder gar „dabei zu bleiben“.

Der Handelsexperte würde Ebay-Cities wie Mönchengladbach oder Diepholz auch nicht mehr als lokale Marktplätze bezeichnen. Immerhin machen die Händler den Umsatz über den klassischen Ebay-Shop, die Übersichtsseite dient mehr als Schaufenster für die Städte. Produkte können städteübergreifend bestellt werden.

Stephan Tromp vom HDE ist „etwas reserviert, wenn es um lokale Marktplätze geht“. Sie seien regional begrenzt, „haben relativ wenig Bekanntheit und bieten neben dem Handel von Produkten so gut wie keinen Mehrwert“, urteilt der HDE-Manager. Die Unternehmensberatung eStrategy Consulting kam in einer Studie zu der Erkenntnis, dass lokale Marktplätze „aufgrund mangelnder Traktion durch Kunden und in der Folge mangelnder Attraktivität für teilnehmende Händler“ scheitern.

Eine digitale Innenstadt? Wohl kaum.

Greifbar werden die Probleme lokaler Marktplätze etwa bei der Ebay-City-Initiative in Mönchengladbach. Oder eher in Wachtendonk. Dorthin hat es den Bekleidungshändler „Troya Tapez“ verschlagen. Das Unternehmen von Sebastian Riede verkauft Streetwear wie Kappen oder Sneaker – und war Teil der Ebay-City-Initiative in Mönchengladbach. Den Laden in Mönchengladbach hat Riede Ende 2018 allerdings geschlossen, sich voll auf den Onlinehandel fokussiert, in Wachtendonk nahe der niederländischen Grenze ein Büro eröffnet. Bei der Ebay-City-Initiative ist Troya Tapez trotzdem noch gelistet. Dem Anspruch, eine digitale Innenstadt abzubilden, wird das nicht gerecht.

Die lokalen Marktplätze dürfte Ebay in den vergangenen Monaten ohnehin hintangestellt haben. Der Marktplatz fokussierte sich auf Coronahilfen für seine Händler – etwa im Rahmen seines Soforthilfeprogramms. Dafür stockte Ebay sein Team auf, hatte Kontakt zu mehr als 5000 Händlern. Die Expansion muss warten. Auch Atalanda hat in den vergangenen Monaten Krisenprävention bei den angeschlossenen Händlern betrieben, etwa Grundgebühren für neue wie auch bestehende Händlerverträge von März bis Juli komplett ausgesetzt.


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Riede braucht beides nicht; keine Krisenhilfe, keine lokalen Marktplätze. Das Geschäft läuft ja: Er habe in diesem Jahr schon „20 Prozent Wachstum hingelegt“. Der Großteil seines Umsatzes entfalle auf Amazon, Ebay lag jahrelang „deutlich dahinter“. „Aber in diesem Monat hat unser eigener Onlineshop erstmals die Ebay-Umsätze überholt“, sagt Riede. Seit 2011 verkaufe er auf mehreren Kanälen gleichzeitig. Seit 2003 bei Ebay. Von dem Ebay-City-Projekt habe Riede „nicht viel mitbekommen, keine signifikanten Effekte“ festgestellt.

100 Pakete am Tag

Es geht auch anders. Das zeigt die Linden-Apotheke in Mönchengladbach Wickrath. Im Gegensatz zu Troya Tapez nimmt sie bis heute an der Ebay-City-Initiative teil. Und Inhaber Alexander Holz zeigt sich mit den Umsätzen auf Ebay sehr zufrieden: „Am Tag gehen bei uns zwischen 30 und 100 Bestellungen ein, die wir taggleich bearbeiten“. Zu kaufen gibt es bei Holz „apothekenübliche Waren, wie etwa Kosmetik, Vitamine, Mineralstoffe, Blutdruckmessgeräte an.“ Nur Arzneimittel verkaufe er ausschließlich im Laden.

Was Ebay neben den guten Umsätzen von Holz, an denen das Unternehmen mitverdient, freuen dürfte: Den Schritt in den Onlinehandel hätte der Apotheken-Inhaber wohl ohne die Aktion nicht gewagt. „Die Ebay-City-Initiative hat die Einstiegshürden in den Onlinehandel für die Fachhändler faktisch auf null gesetzt. Hier wurde Umsatzpotenzial geschaffen, ohne ein finanzielles Risiko eingehen zu müssen.“



Zur Wahrheit gehört aber: Die Linden-Apotheke macht ihren Umsatz über den Marktplatz von Ebay, auf dem die Produkte gelistet sind. Und wo sie weit über die Stadtgrenzen von Mönchengladbach hinaus gefunden werden können. Die Übersichtsseite der Ebay-City spielt kaum eine Rolle. Sie sieht fortschrittlich aus, rückt die Stadt in ein modernes Licht. Aber: „Der Grundgedanke, dass der Mönchengladbacher auch online in Mönchengladbach kauft und hier seine Pakete abholt, geht leider nicht auf“, sagt Holz. Deshalb habe die Stadt bei Ebay ein bisschen an Fahrt verloren, obwohl Holz selbst trotzdem gute Umsätze macht. Und deshalb auch überzeugt ist: „Die Erweiterung der Präsenz, über den lokalen Markt hinaus, stärkt den stationären Handel.“

Trotz der stockenden Expansion: Abgesagt ist sie nicht, wenn es nach Ebay-Chef Klinck geht: „Wir überlegen gerade, wie wir lokale Marktplätze skalierbar aufbauen können. Wir schauen uns etwa Lösungen an, wie wir über Tools oder Software auf einen Schlag viele Städte-Seiten hochfahren können, die die Verantwortlichen in den jeweiligen Städten selbst bedienen können.“ Ob es wirklich so weit kommen wird? Ungewiss. Was für den erst seit September amtierenden Ebay-Chef feststeht: „Allen wird man ohnehin nicht helfen können“.

Mehr zum Thema: Zuletzt verschwand Ebay zusehends in Amazons Schatten. Nun droht bei der Zusammenarbeit mit kleinen Händlern neue Konkurrenz.

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