Zukunft im Blick Die Nominierten für den Deutschen Innovationspreis

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Weiss Umwelttechnik: Die Idee, die aus der Kälte kam

Manchmal im Leben muss man sich verändern, um zu bleiben, wer man ist. Bei Weiss Umwelttechnik, einem Hersteller von Klimaschränken aus Reiskirchen bei Gießen, reifte diese Erkenntnis vor sieben Jahren. Und der Auslöser dafür hieß R23.

Das Kältemittel steckte nahezu in allen 400 Produkten des Mittelständlers. Mit ihm ließen sich die Prüfschränke und Klimakammern auf minus 70 Grad Celsius herabkühlen. Zuverlässig, nicht brennbar, praktisch – das alles war R23. Nur leider war es auch ein Treibhausgas, 14000-mal so wirksam wie CO2.

Es war 2013, als klar wurde, dass die Europäische Union R23 reglementieren würde: Ab 2015 sollte der Gebrauch eingeschränkt werden, es würde Quoten geben, die Kosten würden steigen. Weiss Umwelttechnik würde seine Schränke viel teurer verkaufen müssen – wenn es überhaupt noch genug Kältemittel zu kaufen gäbe.

Eine Alternative musste her. Nur gab es ein Problem: Die großen Gasehersteller waren nicht interessiert, einen umweltfreundlichen Ersatz für R23 zu entwickeln. Zu klein war der Markt, zu wenig rentabel die Investition in die Forschung. Bald war den Weiss-Managern klar: Niemand wird ein neues Kältemittel entwickeln – wenn wir es nicht selbst tun.

So begann vor sieben Jahren ein Innovationsprojekt, das längste in der jahrzehntealten Geschichte des Prüfgeräteherstellers. Weiss, ein traditionsbewusstes Unternehmen, drang in ein völlig neues Gebiet vor, überwand Hürden und Fehlschläge und entwickelte ein ganz neues Kältemittel. „Eine Erfolgsgeschichte“, sagt Janko Förster, Leiter des Produktmanagements, „die bisher einzigartig im Unternehmen ist.“

Klimaschränke sind ein Spezialprodukt, das in erstaunlich vielen Branchen unerlässlich ist. Die Geräte, mal groß wie ein Kühlschrank, mal wie eine Garage, in die ein LKW passt, können ihre Temperatur von minus 70 Grad bis plus 180 Grad Celsius variieren.

Flugzeughersteller prüfen so, ob ihre Teile die Reise vom Winter in Helsinki in die Hitze von Dubai aushalten. Autohersteller unterziehen Blech, Rückspiegel oder Kühlergrills einem Härtetest. Maschinenbauer kühlen Gummidichtungen so oft ab, bis sich zeigt, ob sie zu früh mürbe werden.

90 Prozent weniger Treibhausgas

Weiss Umwelttechnik ist eines der weltweit führenden Unternehmen für diese Testkammern. Tausende Kunden weltweit verlassen sich auf die Geräte der Hessen, die sie über die Jahrzehnte technisch ausgefeilt haben. „Wir biegen Blech, löten Metall, verlegen Kupferrohre“, sagt Produktmanager Förster. „Nur Gase mischen war bisher nicht unser Gebiet.“

Mit dem absehbaren Ende von R23 sollte sich das ändern. Der Mittelständler setze ein Team darauf an, einen Ersatz für das Kältemittel zu finden, der sich nicht so stark auf das Erdklima auswirkt. Es begann eine jahrelange Suche. „Wenn wir gewusst hätten, worauf wir uns einlassen“, sagt Förster, „hätten wir vielleicht gar nicht erst angefangen.“

Das Weiss-Management stelle ein Team zusammen, heuerte Doktoranden von der Uni an, stellte Verfahrenstechniker, Experten für Thermodynamik, technische Chemiker ein. Ein Schlüssel zum Erfolg war auch eine Partnerschaft mit der TU Dresden, wo ein Professor schon lange überzeugt war, dass sich neue Kältemittelmischungen industriell einsetzen ließen.

Das Team suchte einen Mix aus Gasen, die sich leicht komprimieren ließen, nicht brennbar waren und einen sehr tiefen Siedepunkt haben sollte. „Diese Kombination gibt es bei sehr wenigen Stoffen“, sagte Förster. Für Temperaturen bis minus 20 Grad gab es gute Ersatzstoffe für R23, darunter wurde es schwierig.

Auch Wettbewerber forschten an neuen Gasen, warfen aber einer nach dem anderen das Handtuch. Weiss zeigte Durchhaltevermögen. Das Team durfte sich voll auf seine Aufgabe konzentrieren und war vom Alltagsgeschäft des Unternehmens freigestellt. In einem Vorort von Gießen mietete Weiss eigens ein Entwicklungszentrum an.

Zahlreiche Hürden taten sich auf. Einmal war fast ein neues Mittel gefunden – bis sich herausstellte, dass es unter bestimmten Umständen doch brennbar war. „Der Leiter der Entwicklung hatte aber immer noch etwas in Petto“, erzählt sich Förster. „Nach jedem Flop macht er die Schublade mit einer neuen Idee auf.“

Bei alldem wurde auch noch bald klar: Ein neues Gas würde nicht reichen – die Ingenieure würden die Kältekreisläufe aller 400 Produkte anpassen müssen. Abertausende Stunden Mehrarbeit hieß das. Hinzu kamen Regularien, Qualitätsstandards, harte Zertifizierungsvorgaben.

Aber der Aufwand lohnte sich schließlich. Die Entwickler fanden ein neue Kältemittelgemisch, das allen Ansprüchen genügte: WT 69, wie sie es tauften, kühlt bis minus 70 Grad und ist nicht brennbar. Und es hat ein 90 Prozent geringeres Treibhausgaspotenzial als R23.

Im Herbst 2019 erhielt Weiss Umwelttechnik die Zertifizierung für sein neues Kältemittel – und liefert seitdem die ersten Geräte damit aus. „Die Hälfte unseres Portfolios haben wir schon auf das neue Mittel umgestellt“, sagt Förster. Die umweltfreundliche Innovation ist ein gutes Verkaufsargument in Zeiten, in denen Unternehmen immer stärker auf ihre Klimabilanz achten. Außerdem kaufen andere Hersteller von Kühlgeräten den Hessen inzwischen auch das Kältemittel selbst ab.

Für diesen Durchbruch erhielt das Team den Innovationspreis der Schunk-Gruppe, zu dem Weiss Umwelttechnik gehört. Und jetzt auch eine Nominierung für den Deutschen Innovationspreis.

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