Infektionswelle Wer Geschäftsreisen wegen des Coronavirus verbietet

Unternehmen gehen sehr unterschiedlich mit dem Coronavirus und Dienstreisen um. Manche sind dabei sehr streng, andere eher locker. Quelle: dpa

Nach dem Ausbruch des Lungenvirus in Italien beschränken immer mehr Unternehmen die Reisen ihrer Mitarbeiter. Eine Umfrage der WirtschaftsWoche zeigt: Die Regeln reichen von sehr streng bis relativ locker.

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Spätestens seit dem vergangenen Wochenende ist für Deutschlands Geschäftsreisende nichts mehr wie früher. Denn mit dem Ausbruch des neuen Coronavirus in Norditalien ist die weltweite Infektionswelle nun in einer der Hauptdienstreiseziele von Managern aus Deutschland angekommen.

Um ihre Mitarbeiter daheim und unterwegs zu schützen, haben fast alle Firmen nun spätestens nach dem Ende der letzten Karnevalsfeiern schärfere Reisevorschriften erlassen. Doch eine Umfrage der WirtschaftsWoche bei mehreren Dutzend Firmen und Geschäftsreisebüros zeigt: Alle befragten Unternehmen betonen, wie wichtig ihnen die Gesundheit ihrer Mitarbeiter ist. Dafür haben fast alle einen Krisenstab eingerichtet, der sich – neben den Folgen des Virus für die Fertigung ihrer eigenen Lieferkette – auch um die Dienstreisen kümmert. Diese Task Force genannten Gremien berufen sich auf die Vorgaben des Robert Koch-Instituts als zentraler Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention. Dazu zählt, dass jeder Mitarbeiter nach der Rückreise aus einer der betroffenen Regionen in Asien oder Italien erstmal zwei Wochen von zu Hause aus arbeiten soll.

Doch umso erstaunlicher ist: Für künftige Geschäftsreisen könnten die Vorgaben der Unternehmen kaum weiter auseinander liegen. Die Vorschriften lassen sich grob aufteilen in vier Gruppen, von strengsten Verboten auch für Privatreisen bis hin zum eher locker gehaltenen Vertrauen auf die Eigenverantwortung der Mitarbeiter. „Es gibt eine große Unsicherheit und alle Unternehmen diskutieren intensiv wie weit ihre Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeitern reicht“, sagt Franziskus Bumm, Deutschlandchef der Geschäftsreisekette FCM Travel Solutions.

von Benedikt Becker, Sophie Crocoll, Jacqueline Goebel, Peter Steinkirchner

1. Die Superstrengen

Ein kompletter Reisestopp ist derzeit noch die Ausnahme. Den Anfang machte bereits gestern der Schweizer Nahrungsmittelriese Nestlé. „Wir haben alle Mitarbeiter weltweit dazu aufgefordert, bis zum 15. März keine internationalen Geschäftsreisen mehr zu unternehmen“, erklärte das Unternehmen. Und auch im Inland sollen möglichst Videokonferenzen alle persönlichen Treffen ersetzen. Inzwischen haben einige Unternehmen nachgezogen. Der Pharmakonzern Grünenthal aus Aachen verkündete am Donnerstag einen generellen Stopp für „zunächst zwei Wochen“. Der Kosmetikkonzern L’Oreal hat am Mittag alle Auslandsreisen ausgesetzt.

Am strengsten agiert derzeit der Energiekonzern E.On. Hier müssen sich ab sofort neben den Geschäftsreisenden auch die Urlauber einschränken. „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die privat in Risikogebiete reisen, sind dazu angehalten, sich mit ihrer Führungskraft in Verbindung zu setzen“, erklärt das Essener Unternehmen. „So können individuelle Maßnahmen ergriffen werden, um das Risiko einer etwaigen weiteren Verbreitung zu minimieren.“

2. Die regional Strengen

Die meisten Unternehmen lassen ihre Manager zwar weiterhin zu Kunden oder auf Veranstaltungen. Doch sie untersagen derzeit generell Reisen in die betroffenen Länder wie China und Italien. Hierzu zählen der Energiekonzern RWE, Möbelhändler Ikea, der Mainzer Glasspezialist Schott, der Autozulieferer Elringklinger, die Ford-Werke, der Flugsitzhersteller Recaro oder der Gabelstapler-Spezialist Jungheinrich.

Dabei erweitern einige Firmen die Liste verbotener Länder. So dürfen etwa die Mitarbeiter des Otto Group auch nicht nach Hongkong, Macao, den Iran, Myanmar und Teile von Südkorea.


3. Die Genehmiger

Eine ganze Reihe von Unternehmen hat zwar grundsätzlich ein Reiseverbot für vom Corona-Virus stark betroffene Gebiete in Asien oder Italien. Doch hier können die jeweiligen Vorgesetzten eine Ausnahme für weniger stark betroffene Regionen gewähren. Voraussetzung ist allerdings, dass die Geschäftspartner den Termin unbedingt wollen oder der Schaden für das Unternehmen unverhältnismäßig wäre. Dabei gilt, dass die Mitarbeiter freiwillig mitmachen und die Gastgeber zusätzliche Vorkehrungen für die Gesundheit der Mitarbeiter treffen müssen. Nach vergleichbaren Regeln arbeiten derzeit etwa der Handelskonzern Metro, der Autohersteller Daimler, der Zulieferer Continental oder der Medienkonzern Bertelsmann.

Ähnlich sind die Vorgaben von der Deutschen Post, Volkswagen oder BMW. Sie geben allerdings Reisenden in die betroffenen Gebiete noch eine medizinische Einweisung.

Einen Grund nennt etwa der Luft- und Antriebstechniker EBM-Papst aus Mulfingen in Baden-Württemberg. „Die Situation in China hat sich stetig verbessert“, so ein Sprecher des Familienunternehmens. So werde dort nach Ende der Quarantänezeit in einigen Werken bereits wieder mit 70 Prozent der Kapazität gearbeitet. Darum müssen oft auch wieder Mitarbeiter aus Deutschland beraten oder aushelfen. Wer aus den Krisenregionen zurück kommt, soll vor dem Gang in die Firma allerdings erst noch einen virologischen Test machen, für den das Unternehmen die Kosten übernimmt.

Allerdings drängen viele Firmen ihre leitenden Mitarbeiter, möglichst wenige Ausnahmen zu machen. Manchmal behält sich auch Führung selbst die Entscheidung vor, wie beim pfälzischen Pumpen- und Armaturenhersteller KSB. Hier „bedarf es der ausdrücklichen Genehmigung durch die Geschäftsleitung. Das ist aber bis dato nicht der Fall gewesen“, heißt es im Unternehmen. Ähnlich ist die Lage beim Chemiekonzern Bayer. Hier gibt es zwar kein generelles Reiseverbot nach China. Doch tatsächlich ist der Reiseverkehr nach China zum Erliegen gekommen. Vorgesetzte fragen sehr genau nach, ob eine China-Reise wirklich sein muss.

Dabei achten die Firmen auch drauf, dass ihr Verbot nicht umgangen wird, etwa indem sich Mitarbeiter mit Kunden aus gefährdeten Gebieten unverdächtig auf neutralem Boden treffen, weil sie das Risiko einer Ansteckung unterschätzen. „Da achten wir darauf bevor eine Reise genehmigt wird, heißt es beim Münchner Triebwerkshersteller MTU.

4. Die Lockeren

Gerade Großunternehmen setzen statt strikten Verboten auf die Einsicht ihrer Mitarbeiter. Siemens etwa „empfiehlt dringend auf nicht unbedingt notwendige Reisen in die betroffenen Regionen zu verzichten“. Ähnlich locker sind die Vorgaben beim Lichtkonzern Osram oder dem Chemiekonzern BASF, wo nur für Wuhan ein Verbot herrschst. Für den Rest Chinas lautet die Konzernpolitik lediglich „sorgfältig abwägen.“

Noch etwas locker sieht es die Tui. Der Reiseriese weist die Beschäftigten darauf hin, dass sie „nicht reisen sollten, wenn sie sich unwohl fühlen“, sagt ein Sprecher. Zudem berate der Konzern, „wie sich Mitarbeiter auf Dienstreisen vor dem Virus schützen können.“

Ähnlich ist es bei Lufthansa. Hier sollen die Mitarbeiter nur so wenig wie möglich reisen. Und wer im Flugzeug oder an den Airports arbeite, könne auch eine Gesichtsmaske tragen. Dahinter steckt ein Dilemma. So sinnvoll ein schärferes Reiseverbot auch sein könnte, es ist nicht ganz leicht umzusetzen. Wenn die eigenen Manager nicht mehr reisen, wäre das ein Signal an die verbliebenen Kunden, doch auch besser daheim zu bleiben. Dazu gilt. „Jeder Flug ist für die Crew ja auch eine Dienstreise. Darum müssten wir bei einem Stopp komplett den Betrieb zusperren“, so ein Manager.

In zwei Dingen sind sich alle Firmen jedoch am Ende wieder einig. Zum einen wird generell noch eine Weile weniger gereist. „Wir erwarten, dass mehr dienstliche Trips abgesagt werden oder bestenfalls in sichere Orte verlegt werden“, so Reisemanager Bumm. Dazu können sich Regeln je nach Lage der Dinge bald wieder ändern, so ein Unternehmenssprecher. „Wir verschärfen die Regeln, wenn sich das Virus weiter verbreitet - aber hoffentlich lockern wir sie, wenn die Gegenmaßnahmen greifen und sich die Lage wie gerade in China verbessert.“

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